Großbritannien

Neun Wagen nordwärts

Einmaliges Erlebnis: Die Rundfahrt des Royal Scotsman durch die Highlands.

Royal Scotsman: Schottlands Schönheit per Schiene entdecken

Langer Atem: Iain Grant begrüßt die Gäste mit dem Dudelsack. Fotos: hs

Für Iain Grant gibt es jetzt erst mal ein Bier. Er hat es sich verdient. Eine halbe Stunde lang ist er an Gleis 10 im Bahnhof von Edinburgh neben dem Zug mit den goldumrankten Emblemen paradiert. Dabei hat er Dudelsack gespielt, bis selbst die Aussichtsplattform am Ende des letzten Waggons nicht mehr zu sehen war. Längst hatte der Lärm der anfahrenden 3.000-PS-Lok die Melodie durcheinandergebracht. Der Mann kennt das, verzieht keine Miene - und spielt weiter.

Grant legt den roten Teppich aus Tönen für den König aller schottischen Züge, für die neun historischen Waggons des "Royal Scotsman", die in Edinburgh zur Highland-Rundfahrt starten. Wenn er sein Bierglas ansetzt, werden es sich die Fahrgäste im Salonwagen bereits in schweren karierten Sesseln gemütlich gemacht und mit dem ersten Glas Champagner angestoßen haben.

Sie wohnen in mahagonivertäfelten Abteilen der restaurierten Waggons aus den 1950er und 1960er Jahren. Und während der Zug Kurs auf Inverness, Aberdeen und Dundee nimmt, tauschen die ersten bereits Lebensgeschichten aus. Andere stehen still auf der Aussichtsplattform, genießen den Fahrtwind, den Ausblick, das schillernde Violett des Heidekrauts, später das Hellgrün der baumlosen Hügel. Schafe kleben an den Hängen als wären sie an ihre Weiden getackert. Die Berge am Horizont sind geformt wie die Rücken schlafender Saurier. Häuser und Dörfer haben Seltenheitswert, Städte sind rar. Nur Bahnübergänge befinden sich ab und zu mitten im Nirgendwo, und nur in Ausnahmen wartet an den Schranken ein Auto.

Craig Wood hat für all das keine Zeit: Er gehört zu den wenigen Menschen, die bei 60 Meilen pro Stunde Pfifferlinge anbraten müssen. In der gut sechs Meter langen und nur 1,70 Meter breiten Kombüse zaubert der Bordkoch aus Glasgow, was mittags und abends in den zwei Speisewagen auf die Tische kommt: Lachsravioli mit Langustinos zum Beispiel, Filet vom Angusrind in Madeirasoße mit Pfifferlingen, gebackene Jacobsmuscheln aus Kyle of Lochalsh mit wildem Knoblauch von der Isle of Skye.

Während des Abendessens haben die Stewardessen die Betten gemacht, Blumen auf die kleinen Schreibtische der Abteile gestellt, die schweren Vorhänge zugezogen. Nachts sucht sich der Luxuszug ein Abstellgleis und parkt im Highland-Nirgendwo: kein Ruckeln, keine Fahrgeräusche, nur Stille - bis es am nächsten Morgen an der Tür klopft und Earl-Grey-Tee als Beilage zum Wake-up-Call serviert wird.

Wieder tauchen die Rücken der schlafenden Saurier vor dem Fenster auf, die spiegelglatten Seen mit ihren tiefschwarzen Oberflächen, und statt Schafen turnen diesmal Ponys am Bahndamm herum. Käme plötzlich Braveheart durchs Bild geritten - niemand würde sich wundern.

Seltsam entspannt sind die Passagiere an Bord nach eineinhalb Tagen geworden, sprechen nicht mehr vom Job oder von zu Hause - stattdessen mehr von dem, was sie gerade sehen und davon, wie sie die Dinge empfinden. Am letzten Abend tauschen sie Kärtchen, kritzeln E-Mail-Adressen und Telefonnummern auf Notizblöcke, prosten sich ein letztes Mal mit Malt-Whisky von Sessel zu Sessel zu. Am nächsten Morgen rollt ihr Zug zurück in die Wirklichkeit, im Schritttempo auf Gleis 10 an Edinburghs Waverly Station. Und Iain Grant spielt zur Begrüßung Dudelsack.

Helge Sobik