Japan

Japans teuerste Grabstätte

Malerisches Nikko: Der Rinnoji-Tempel gehört zum Weltkulturerbe.

Malerisches Nikko: Der Rinnoji-Tempel gehört zum Weltkulturerbe. Foto: fh

Das Weltkulturerbe in Nikko lohnt einen Tagesausflug von Tokio

„Zwei Nächte in Nikko? Wirklich? Wieso?“ Ungläubig schüttelt die Reisebüro-Angestellte den Kopf und händigt den beiden Ausländern, die es nicht anders wollen, die Hotel-Voucher aus. Nikko ist eine klassische „Eine-Nacht-Destination“. Vielleicht, weil es sich ganz wunderbar als Tagesausflug aus dem rund 100 Kilometer entfernten Tokio eignet. Vielleicht auch, weil es japanische Touristen chronisch eilig haben und ihre spärlichen Urlaubstage kompakt füllen. Kurzum, gleich zwei Nächte in Nikko, das ist wirklich ungewöhnlich. Dabei gibt die kleine Stadt architektonisch durchaus einiges her. Auf den zweiten Blick. Der erste Schritt vom Gleis auf den Bahnhofsvorplatz ist eher ernüchternd: Kaum ein Haus, das nicht in den letzten 20 Jahren neu erbaut wurde – eine hastig zusammengezimmerte Goldgräberstadt, fast so, als planten die Einwohner schon den nächsten Umzug. Skeptisch geht es gen Norden, zum Tempeldistrikt, die Hotel-Voucher brennen in der Tasche. Zwei Tage?… Dann geht es rechts ab, bergauf, den anderen Touristen hinterher. Mit einem Schlag sind die Zweifel beseitigt. Golden und sattrot blitzen die Dächer des Rinnoji-Tempels durch die herbstlichen Ahornblätter, mosig-alte Steinmauern verkünden jede Menge Geschichte und Atmosphäre, ein Versprechen, das auch der einige Schritte weiter gelegene Toshogu-Schrein mühelos hält. Ende des 17. Jahrhunderts als Mausoleum für Tokugawa Ieyasu erbaut, Japans mächtigsten Shogun, und seither seinem Geist gewidmet, sprengt der Schrein alle Superlative. „Die wohl prachtvollste Anlage Japans“, weiß der Reiseführer, und er hat Recht. Die Baukosten sollen sich nach heutigen Maßstäben auf annähernd 40 Milliarden Yen belaufen haben – das sind gut 250 Millionen Euro nach aktuellem Umtauschkurs. Im Gegensatz zu anderen Shinto-Anlagen sind die 36 Gebäude des Toshogu geradezu unanständig opulent, voller kleiner Details, ja fast schon überladen. Und, man mag es kaum glauben, ein wenig erinnert der Tempel auch an Omas Kommode in Deutschland: Immerhin sind hier die Originale der drei berühmten Affen zu Hause – „nichts Böses sehen, hören und sprechen“ – deren Ableger weltweit in gutbürgerlichen Schrankwänden zu finden sind. Zusammen mit dem benachbarten Rinnoji-Tempel und dem Futarasan-Schrein wurde der gesamte Komplex 1999 in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. Nikko ist wahrhaft ein Tagesprogramm. Ein volles. Nur abends, da dämmert auch dem erholungsbedürftigsten Reisenden, warum Nikko nicht mehrerer Nächte bedarf. Wenn der letzte Tourbus abgefahren ist, legt sich ein Teppich der Stille über die Stadt. Schon um 21 Uhr werden die Bedienungen im Restaurant nervös, kein Wunder, sind doch die ausdauernden Ausländer schon lange die letzten Gäste. Und das sogar zwei Mal. Warum nur?
Françoise Hauser
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