China

Ein Stück altes China

Die Kanäle von Zhouzhuang, rund 100 Kilometer südlich von Shanghai.

Die Kanäle von Zhouzhuang, rund 100 Kilometer südlich von Shanghai. Foto: fh

Shanghai: Ausflug in die Wasserdörfer im Süden der Metropole

Frau Wang rudert. Viele Kilometer, fast jeden Tag. Und das schon seit 15 Jahren. Auf den Kanälen des Wasserdorfes Zhouzhuang sind fast ausschließlich Frauen unterwegs, die Touristen auf der einstündigen Bootstour durch die Kanäle steuern. Vorbei an alten, traditionellen Wohnhäusern, geschmückt mit roten Laternen, unter Bogenbrücken hindurch, an Tempeln vorbei. Hin und wieder kreuzt ein Lastenboot: Gemüse für den Markt in der Nachbarstadt, ein neuer Kühlschrank für eine der Wohnungen am Kanal, Baumaterial. Kein modernes Gebäude stört die architektonische Harmonie. Die Wasserdörfer süd- und südwestlich von Shanghai scheinen geradewegs für das chinesische Poesiealbum entworfen worden zu sein. Das Erstaunliche: Sie liegen keine hundert Kilometer von der boomenden Megastadt entfernt. Allzu viele Illusionen darf man sich über die Herkunft dieser idyllischen Szenerie allerdings nicht machen. Bei den Renovierungsarbeiten hatten die Stadtväter durchaus touristisches Publikum vor Augen. Und von den Einwohnern Zhouzhuangs, Tonglis, Zhujiajiaos oder Wuzhens dürften heute kaum einer mehr in der Landwirtschaft tätig sein. Zahlreiche kleine Verkaufsbuden, von Perlenhändlern bis Gewürzverkäufern, säumen immer den Weg des Besuchers, so dass sich zwangsläufig viel Kontakt mit den Einheimischen ergibt – beim Verkaufsgespräch.

Und das hat im Grunde Tradition: Schon immer gehörte das Wasserland zwischen Jangtse-Mündung und Kaiserkanal zu den wohlhabenden Regionen Chinas. Noch vor Beginn unserer Zeitrechnung verwandelten die Bewohner des Jangtse-Deltas das sumpfige Land in fruchtbare, bebaubare Flächen. Was dabei an Entwässerungskanälen entstand, wurde ganz praktisch für den Warentransport genutzt. Kein Wunder, dass es sich die Händler der Region bald leisten konnten, mit komfortablen Höfen zu protzen. Erst in den Wirren des 20 Jahrhunderts verfielen die Dörfer zusehends – um mit dem Tourismus wieder aufzuerstehen. Dennoch, für die gestresste Ausländerseele sind die Dörfer nach einigen Tagen Shanghai – dort findet in diesem Jahr übrigens das Far East Live Seminar von Meier's Weltreisen statt – allemal Balsam. Und entfernt man sich ein, zwei Seitengassen vom touristischen Mainstream, dann lockt in der Tat das Flair des alten China. Seit 1998 gehört Zhouzhuang, ganz zu Recht, sogar zum Unesco-Weltkulturerbe. Selbst Individualtouristen tun sich leicht, die einst abgelegenen Dörfer zu erreichen. Ab Shanghai Stadium verkehren regelmäßig Busse, und dank der regen Touristenströme ist dieser Ausflug auch für weniger geübte Reisende gut zu bewältigen: Ein bisschen Englisch spricht hier fast  jeder Händler.
Francoise Hauser
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