Korea

Auszeit in der Stille

Laien sind willkommen – auch im Hwaeomsa-Tempel im Süden Koreas. Foto: smk

Als Gastmönch in buddhistischen Tempeln

Mönchsnovize Jijin betritt am frühen Abend die Gebetshalle und eilt leise zu den anderen Mönchen und No‧vizen, die in sich versunken vor riesigen, goldenen Buddhastatuen knien. Schweigend fügt er sich in die Reihen ein – so wie die Gastmönche, Touristen aus Korea, Europa, den USA. In Tempelkleidung gehüllt, haben sie sich unter die Mönche begeben. Der Tempelkodex gilt auch für sie: Ruhe und Schweigen sind angesagt, Alkohol und Rauchen verboten.

Die tiefe, sonore Stimme eines Mönchs durchbricht die Stille. Er stimmt einen choralen Gesang an, die anderen stimmen ein. Der Gesang steigert sich, wird lauter, inbrünstiger, füllt schließlich die ganze Halle aus und versetzt den Körper in Resonanz. „Ergreifend“, sagt Han Chul Park, 78, aus Seoul. „Die Zeremonie hat meinen Geist berührt.“ Es ist sein zweiter Tempelaufenthalt, und er verbringt ihn im 1.500 Jahre alten Hwaeomsa-Tempel, im Jirisan-Nationalpark.

„Die Leute verspüren einen Hunger nach solchen Auszeiten“, sagt Songi Han vom Templestay Information Center in Seoul. Landesweit bietet Südkorea Tempelaufenthalte an, auch für englischsprachige Gäste – von einer Nacht bis zu einer Woche, mit gemeinsamen Zeremonien, Mahlzeiten, Meditationen, Spaziergängen, Gemeinschaftsarbeiten, Gesprächen.

2002 wurde das Projekt initiiert, zur Fußball-WM in Japan und Korea. Inzwischen gilt es als Aushängeschild des koreanischen Tourismus. Waren es anfangs 2.500 Gäste, kamen zehn Jahre später über 200.000, davon zwölf Prozent aus dem Ausland und knapp 2.000 Deutsche.

Am Abend lädt Woo Mun Suk zur Teezeremonie. Er ist seit 16 Jahren Mönch und lebt nach den Regeln des Jogye-Ordens keusch. Seine Entscheidung hat der 40-Jährige nie bereut. „Ich kann mir nichts Besseres vorstellen“, sagt er und erzählt von innerer und äußerer Freiheit, die er gewann.

Doch die Zahl der Mönche ist rückläufig. Ihr Leben erfordert ein hohes Maß an Disziplin. Genächtigt wird in kargen Sammelunterkünften, wo Männer und Frauen getrennt auf dem (beheizten) Boden liegen. Duschen und Toiletten befinden sich in Nebengebäuden. Gongschläge dröhnen über das Areal hinweg: neun Uhr. Bettruhe.

Der Weckruf folgt gefühlt gleich danach: um drei! Aufstehen, Morgen‧toilette, Anziehen. Zeit für Eitelkeiten bleibt nicht, um 3.30 Uhr ist Morgenappell an der Tempeltrommel. Fünf Mönche donnern nacheinander auf sie ein, gefolgt von mächtigen Gongschlägen. Nun sind alle wach. Währenddessen zieht eine Reihe Mönche in rostbraunen Kutten über das Gelände. Jijin und die Gäste folgen – zur Morgenzeremonie, der sich „108 Niederwerfungen“ anschließen, eine Übung für Körper und Geist, dann ‧eine Meditation.

Sechs Uhr, Frühstück. Fleisch und Fisch sucht man vergebens, die Tempelküche ist vegetarisch – morgens, mittags, abends. Es gilt, nichts übrig zu lassen und – zu schweigen. Tageslicht hat sich seinen Weg gebahnt, und Woo Mun bittet zum Spaziergang durch den Bambuswald. Er hat gefunden, was viele suchen: Ruhe und Ausgeglichenheit. Am Ende des Aufenthalts nimmt er ein letztes Mal die Teekanne zur Hand und blickt zufrieden lächelnd in die Runde. „Noch eine Tasse Tee?“
Sascha M. Kleis