Papua Neuguinea

Im dampfenden Dschungel

Nur wenige Kinder besuchen eine Schule

Am Karawari lebten bis in die 60er Jahre Kannibalen

Erst seit etwa zwei Generationen gibt es Dörfer am Fluss. Fotos: smk

Über wolkenverhangene Bergketten hinweg, vorbei an dicht bewachsenen Hängen geht das Kleinflugzeug runter und nähert sich dem Karawari, einem südlichen Nebenfluss des Sepik. Wie ein Mäanderband schlängelt er sich durch dichten Flachlanddschungel. Der Fluss ist Lebensader und Wasserstraße. Gefahren wird meist in Einbäumen. Von oben lugen Hütten auf Lichtungen hervor. Hier und dort steigt Rauch auf. Wie aus dem Nichts erscheint ein Airstrip. Die Maschine schwenkt ein und setzt auf.

Als der Propeller stillsteht, öffnet sich die Tür zu einer wilden, fremden Welt – irgendwo im Nirgendwo. Gefühlt 100 Prozent Luftfeuchtigkeit schlagen einem ins Gesicht und die exotischsten Geräusche drängen ins Ohr; der Sound einer der entlegensten Regionen Papua Neuguineas. Es ist brütend heiß. Ringsherum nur dampfender Dschungel. Und der Karawari.

Bis in die 1960er Jahre war die Region fast völlig unbekannt. Und mit ihr die Bewohner, ihre Kultur und Schnitzkunst. Es sind die ältesten Kunst‧werke Neuguineas: abstrakt, expressiv, geheimnisvoll. Meist verkörpern sie Dämonen und halfen bei der Jagd – auch auf Menschen. Bei Erfolg schmierte man die Objekte mit Opferblut ein, erzählen die Männer im Dorf Tanganimbit. „Alle hier waren Kannibalen“, sagt Flussbewohner Paul, „bis in die 60er. Dann war Schluss.“ Zumindest offiziell. Von den alten Kannibalen lebt heute kaum noch jemand. „Die sind fast alle tot.“

Als Ruhe einkehrte und Menschenfleisch vom Speiseplan verschwand, zogen viele Dörfer von den Höhenzügen und aus dem Dschungel an den Fluss. „Zu Kannibalismuszeiten war das zu gefährlich“, sagt Paul. Viele Dörfer sind daher kaum älter als ein, zwei Generationen. Die Menschen ‧fischen oder bauen an: Tabak, Gemüse, Obst. Überschüsse werden auf Märkten verkauft. Wer kann, schnitzt oder flechtet, um zusätzlich Geld zu verdienen. Viel ist es nicht.

Rund 60 Dörfer existieren. Ein paar davon lernen Touristen auf Bootsausflügen kennen. In schnellen, wendigen Jetbooten befahren sie den Karawari, erkunden auch Nebenarme. Eine weitgehend ursprüngliche Welt. Unbekümmert planschen Kinder an den Ufern, lachen und winken, während riesige Nashornvögel und kreischende Papageien vorüberziehen. Stopps in Dörfern erlauben Gespräche, Blicke in ihren Alltag und in ihre Küchen.

Rund 300 Gäste aus aller Welt reisen pro Jahr hierher, erzählt Augus, Manager der Karawari Lodge. Er muss es wissen, es ist die einzige, dazu komfortable Unterkunft der Region. Auf einer Anhöhe, 100 Meter über dem Fluss, stehen die traditionell erbauten Gebäude: zehn Bungalows mit 20 Zimmern für bis zu 40 Personen. Der Panoramablick über den Fluss und das grenzenlose Dschungelmeer ist spektakulär und geradezu überwältigend in der Dämmerung, wenn Nebelschwaden über der Szenerie liegen. Eine Zauberwelt.

Faszinierend – für Touristen. Weniger für Einheimische anderer Gegenden. Ein Problem, wenn es um Lehrkräfte geht. „Kaum jemand von ihnen will hierherkommen“, sagt Noel, 29, Lehrer aus dem Dorf Manjamai. „Und wenn sie kommen, bleiben sie nicht lange.“ Nur wenige Kinder gehen zur Schule. Stattdessen spielen sie Fußball, hängen rum, hören Musik. Manchmal gucken sie auch Videos, wenn mal einer der in fast jedem Dorf vorhandenen Generatoren läuft. Und was wird so geguckt? „Rambo“, sagen sie.
Sascha M. Kleis