Vietnam

Ein Dorf unter der Erde

Dünn muss man sein! Einer der versteckten Einstiege in das Cu-Chi-Tunnelsystem ...

Vietnam: Im Tunnelsystem von Cu Chi die Kriegsauswüchse nacherleben

... und die Bootsanlegestelle von Cu Chi. Fotos: ah

Durch Hollywood-Filme wie „Platoon“ oder „Apocalypse Now“ wissen wir so manches über den Vietnam-Krieg. Eine andere – weitgehend unbekannte – Seite lernen Touristen bei einem Besuch der Tunnel von Cu Chi kennen. Der Ort mitten im dichten Dschungel ist eine der Hauptattraktionen in der Region um Ho-Chi-Minh-Stadt (ehemals Saigon). Zahlreiche Veranstalter bieten Bustagestouren dorthin an.

Aufregender ist die Fahrt mit einem Boot dorthin. Frühmorgens geht es durch die wuseligen Gassen voller Motorroller und vereinzelter Drahtesel zum Hafen, wo ein schmaler Kahn wartet. Alsbald knattert der Dieselmotor und die Gruppe tuckert bei 35 Grad gen Nordwesten. Das Boot lässt den Großstadtmoloch hinter sich, passiert Palmen, Paläste und Wellblechhütten. Der Guide an Bord verrät: „Während des Krieges war hier dichter Dschungel.“

Unterbrochen wurde die für amerikanische Soldaten grüne Hölle nur von der US-Militärbasis in Tinh Binh Duong, an der das Boot vorbeizieht. Nach zweieinhalb Stunden würgt der Kapitän den Motor ab und lässt den Kahn ans linke Ufer treiben: Cu Chi ist erreicht. Die Reisegruppe verlässt das Boot und marschiert zum Haupteingang am Busparkplatz. Dort warten Hundertschaften von Touristen: Italiener, Koreaner, Amerikaner – alle wollen in die Tunnel.

Zuerst gibt es einen Einführungsfilm. Die Schwarz-Weiß-Dokumentation von 1967 erzählt die Geschichte von Cu Chi – allerdings mit einer Portion Propaganda. So wird von „amerikanischen Teufeln, die auf Kinder und Eltern schießen“ berichtet. Im Anschluss geht es in die Hitze des Dschungels.

Die Besucher erwartet ein martialisches Disneyland für Erwachsene: Lebensgroße Puppen werden von Bambusspeeren aufgespießt, treten in wunderliche Minen oder erleiden Folter. Für Familien mit Kindern ist dieser Teil der Tour nicht empfehlenswert. Unter einer Palme parkt ein vom Vietcong eroberter M41-Panzer der Amerikaner. Ein beliebter Fotostopp – hier klettern die Kleinen für ein Bild auf das Rohr.

Die Gruppe erreicht die Tunnel. Sie liegen 75 Kilometer von Ho-Chi-Minh-Stadt entfernt, aber nur 40 Kilometer von Kambodscha. In der schlimmsten Kriegszeit Mitte der 1960er Jahre existierten über 250 Kilometer Tunnel. Bis zu 16.000 Vietnamesen lebten damals dort unter der Erde. Drei Stockwerke unter der Erde. Heute sind noch 120 Kilometer zugänglich, die bereits Ende der 1940er Jahre im Krieg gegen die Franzosen angelegt wurden.

Die Tunnel sind dreistöckig. Im ersten Stock, der drei Meter unter der Erde liegt, hielten sich Truppen auf, die im Kampfeinsatz waren. Im zweiten Stock – in sechs Metern Tiefe – waren Vorratsräume. Und zehn Meter unter dem Schlachtfeld von Cu Chi wurde geschlafen, gekocht, gewohnt. In einem Raum war sogar eine Kapelle eingerichtet, in der sich junge Paare trauen ließen.

Jetzt wagt sich die Gruppe in das enge Tunnelsystem. Manche Gänge sind nur 90 Zentimeter hoch. Die Tunnel verlaufen nicht schnurgerade, sondern schlagen Haken und haben Kreuzungen. Besucher können sich durchaus verirren. Zudem staut sich die Dschungelhitze in der Dunkelheit unter der Erde. Es herrscht eine klaustrophobische Stimmung. Das Herz schlägt schneller. Umdrehen geht nicht, denn hinter jedem Besucher folgt der nächste.

Und so kriechen mehr als ein Dutzend Touristen durch die engen Gänge, schnaufen und sind am Ende froh, wieder an der frischen Luft zu sein. Im Tageslicht hört die Gruppe in der Ferne Gewehrsalven. Unser Guide erklärt: „Wer möchte, kann dort hinten mit einem russischen Maschinengewehr – einer AK 47 – schießen.“ Aber Achtung: Der Preis wird pro Patrone berechnet. So ist eben Kriegsschauplatz-Tourismus.

Arne Hübner