Singapur

Singapur: Grüße aus dem Jenseits

Aw Sueh Nam ist Spezialhänder für Totenbedarf.

Aw Sueh Nam ist Spezialhänder für Totenbedarf.

Der Insel- und Stadtstaat gilt als ordentlich – zu Unrecht

Mit dem Geld kann man nicht überall bezahlen...

Mit dem Geld kann man nicht überall bezahlen... Fotos: fh

Ein Gebiss, eine Flasche Mundspülung und Zahncreme, sauber in Klarsichtfolie verpackt: Gleich ein Dutzend dieser Mundhygiene-Sets hängt vor dem Laden Nam’s Supplies mitten in Singapurs Chinatown, zwischen Reiskochern und Laptops. Muss man nicht sehr optimistisch sein, um ein Gebiss aus der Massenanfertigung zu kaufen, und hoffen, dass es passt?

„Die späteren Träger beschweren sich garantiert nicht über Druckstellen“, verspricht Inhaber Aw Sueh Nam. Und dies könnte daran liegen, dass die Gebisse aus Pappe und ihre Träger schon seit Langem tot sind ...

„Für die Ahnen“ fügt er hinzu, bevor er auf die Leiter steigt, um weitere Reiskocher und Taschen an der Decke zu befestigen. Nam’s Supplies ist ein Spezialhändler für Totenbedarf, und dies in der dritten Generation. Alles, was im dicht bepackten Laden liegt oder hängt ist aus Papier: Fette Bündel von 10.000-Dollar-Noten, Goldbarren, Kreditkarten, Zigaretten, Markenkleidung und Taschen von Gucci – teils so gut gefertigt, dass man zweimal hinsehen muss, um sie als Imitationen zu erkennen.

Taschengeld fürs Jenseits
Nach dem chinesischen Volksglauben – rund 75 Prozent aller Singapurer sind chinesischer Abstammung – steigt die Seele nach dem Tod in den Himmel auf und wird zum Ahnen. Damit es ihm dort an nichts mangelt, opfert ihm die Familie regelmäßig: „Totengeld“, ausgestellt auf die „Hell Bank“ und selbstverständlich in US-Dollar, wird im Jenseits gerne genommen, genauso wie Kühlschranke, Autos, Mikrowellen und andere moderne Annehmlichkeiten. Sogar Fitness-Uhren mit Pulsmesser baumeln hier, obwohl die Werte im Jenseits konstant bei null liegen dürften. Versandt wird all dies per Feuer – eine heiße Überweisung quasi.

Weil Chinesen zutiefst pragmatisch sind und nichts von unnötigen Ausgaben halten, werden natürlich nur Papierimitate verbrannt. Rund 40 „Joss Paper“-Händler gibt es in Singapur, die nicht nur vorgefertigte Waren, sondern auch die eine oder andere Spezialanfertigung vertreiben: Sogar papierne Mätressen gehen hier und da diskret über den Tresen. Sicher ist: Der Nachschub aus dem Diesseits darf nicht abreißen, denn wer sich nicht um die Ahnen kümmert, hat sie schnell wieder als Dämonen am Hals.

Geister hautnah
Wer dennoch den direkten Kontakt zur Geisterwelt sucht, sollte sich rechtzeitig um einen Flug kümmern: Im siebten Monat des traditionellen Mondkalenders, 22. August bis 18. September, findet das Hungry Ghost Festival statt. Dann öffnen sich die Tore der Geisterwelt und alle ihre Bewohner dürfen sich einen Monat lang unter die Menschen mischen – man stelle sich eine riesige Horde von Hooligans mit übernatürlichen Kräften vor, die nur Schabernack im Kopf haben.

Um die gefährlichen Besucher bei Laune zu halten, werden vielerorts auf der Straße Konzerte und Peking-Opern dargeboten, so genannte Getai. Logisch, dass sich auch die Menschen zu dieser Gelegenheit amüsieren. Nur die erste Stuhlreihe bleibt mysteriöserweise frei, solange sich nicht zum Entsetzen der Einheimischen ein Tourist dort niederlässt: Sie ist für die Geister reserviert, die es übrigens gar nicht mögen, wenn man ihnen die besten Plätze streitig macht.

Läden wie Nam’s Supplies erleben zeitgleich ein Umsatzhoch. Dies allerdings nicht zu jedermanns Freude: Der Taschenhersteller Gucci, dessen Modelle sich unter den Opfergaben besonderer Beliebtheit erfreuen, ließen im vergangenen Jahr verlauten, man wolle in Asien keine weiteren Fälschungen aus Papier mehr dulden.
Francoise Hauser
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