Frankreich

Frankreich: Blauer Traum

Menton an der Grenze zu Italien: Hier endet die Côte d’Azur.

Menton an der Grenze zu Italien: Hier endet die Côte d’Azur. Foto: cd

Der frühe Vogel fängt den Wurm – Vorsaison an der Côte d’Azur

1887, in der Pionierzeit des Riviera-Tourismus, schreibt ein gewisser Stephen Liégard eine Art Reiseführer. Das schwülstige Machwerk trägt einen genialen Titel: „La Côte d’Azur“. Damit hat die Küste in Frankreichs Süden endlich einen griffigen Namen und wird zum Sehnsuchtsort der „Hivernants“, die ganze Winter am Saum der See vertrödeln. Den Rest kennt man: Erst kam der Hochadel, dann Künstler und Bohème, noch später Stars und Sternchen und schließlich der Rest der Welt. Aber der Name zieht immer noch. Und die schönste Zeit, die Blaue Küste zu entdecken, ist das Frühjahr.

Aber wo soll die Reise beginnen? Jeder weiß, wo die Côte aufhört, in Menton an der italienischen Grenze nämlich, aber die Meinungen darüber, wo sie im Westen anfängt, sind höchst verschieden. Manche sagen, erst in Saint-Tropez. Andere wollen sogar Marseille dazurechnen. Ein schöner Auftakt ist das nur wenige Kilometer von Marseille entfernte Cassis. Hier fahren die Boote zu den Calanques ab: tief eingeschnittene Buchten zwischen schneeweißen Kalkfelsen, auf deren Kante einzelne Pinien balancieren. Das Meer leuchtet in Malkastenfarben: Aquamarin, Grelltürkis, Flaschengrün – je nach Tiefe und Untergrund.

Weiter östlich, wo die Küste wieder abflacht, liegt La Ciotat mit seinen ziegelroten Dächern in die Bucht geschmiegt wie ein schlafendes Tier. Bald ist Sanary-sur-Mer erreicht, die zeitweilige „Hauptstadt der deutschen Literatur“, wie Marcuse notierte. Im „Café de la Marine“ klampfte Bert Brecht Verse gegen Goebbels auf der Gitarre. Das Publikum dazu bildeten Heinrich und Thomas Mann, Arnold Zweig und Lion Feuchtwanger sowie weitere Schriftsteller und Geistesgrößen.

Der riesige Parkplatz am Ortsrand von Saint-Tropez lässt ahnen, was hier im Sommer los ist. Im Hafenbecken spiegeln sich in zitternder Schönheit aprikosenfarbene Häuser und blankpolierte Schiffsrümpfe in Farben „so frisch wie bei der Geburt der Welt“, wie Colette einst notierte. Im legendären Café Sénéquier haben sich ab März die ersten Reichen und Schönen der Saison versammelt. Aber noch sind Plätze mit Blick auf den „Laufsteg“ frei. Man trägt auch dieses Jahr wieder Unschuldsweiß auf der Promenade vor den Luxusyachten.

Westlich von Fréjus läuft die Côte zu Hochformen auf. Die Strecke im Schatten Massiv de L’Estérel hält sich dicht an der Wasserlinie. Goldorange Felsen schieben sich bis fast an die Küste heran. Schirmpinien stehen wie grünschwarze Skulpturen vor Buchten mit poolblauem Wasser. Dann geht es Schlag auf Schlag: das mondäne Cannes, das großstädtische Nizza. Antibes mit seinem Picasso-Museum erscheint dagegen fast verträumt.

Der schönste Ort der Côte? Vielleicht ist es Villefranche-sur-Mer, das sich mit Fassaden in Schminkfarben den Hügel auftürmt. Pittoresker geht es nicht mehr. Schlussakkord in Menton, kurz vor der Grenze zu Italien: Das Wasser am Stadtstrand schimmert wie in der Karibik. Nur ein wenig blauer noch, wie eine Mischung aus Aquamarin und Saphir.
Claudia Diemar
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