Tschechien

Tschechien: Moderne an der Moldau

„Tanzende Häuser“: Moderne Architektur im alten Prag.

„Tanzende Häuser“: Moderne Architektur im alten Prag. Foto: FVA Tschechien

In Sachen Architektur lädt Prag zu einer Jahrhundertzeitreise ein  

Ein Bummel durch die Stadt an der Moldau ist wie ein Spaziergang durch die Geschichte der Architektur. Die Tour führt von der Prager Burg Hradschin hinunter zur Moldau über die denkmalgeschützte Karlsbrücke und den Altstädter Ring bis zum Wenzelsplatz. „Es ist wie der Besuch eines bewohnten Museums“, schwärmt Fremdenführerin Jindra Pokorná. Tatsächlich hatte die böhmische Metropole gleich zweimal Glück. Zunächst überstand sie die Zerstörungen des Krieges, dann begegnete sie behutsam der Bauwut der Neuzeit. So ist das Zentrum eine bunte Galerie architektonischer Epochen, von Gotik bis Barock, Jugendstil bis Rokoko, Kubismus und Klassizismus bis zur Moderne.

Das Tanzende Haus am Moldau-Ufer, auch als „Ginger und Fred“ in aller Munde, ist so ein Exemplar des neuen Baugeists: ein schräger, mutiger Bau des kanadischen Architekten Frank Gehry. Oder das Einkaufszentrum Goldener Engel des Franzosen Jean Nouvel. Ein anderes Hightech-Werk findet sich in den Gärten der Prager Burg, unweit des Lustschlosses Belvedere. Das Gewächshaus von Eva Jiricna, einer in London lebenden, tschechischen Architektin, hat schon Baukünstler aus der ganzen Welt angezogen. Eher klassisch präsentiert sich das denkmalgeschützte Prager Panorama mit Burg (heute Sitz des Präsidenten), gotischem Veitsdom und Bürgerhäusern aus der Zeit der Renaissance. Auch die „jüdische Stadt“ in Prag mit der ältesten Synagoge Europas aus dem 13. Jahrhundert prägen Spuren traditioneller Baustile.

In der urigen Bierstube Zum Goldenen Tiger treffen wir Filip Remenec auf ein Pilsener Urquell. Der tschechische Tourismussprecher beziffert die Zahl deutscher Prag-Besucher auf jährlich 560.000. Tendenz: stabil. Für sie wurden erst kürzlich neue Führungen aufgelegt, die sich speziell mit der Architektur der Stadt beschäftigen. Auch im Goldenen Tiger, wo schon der ehemalige Präsident Václav Havel und sein US-Kollege Bill Clinton speisten, ist die Kaffeehaus-Kultur des literarischen Prags der Jahrhundertwende zu Hause. Viele dieser Häuser haben den Wandel der Zeit unbeschadet überlebt. Eines davon ist das Slavia gegenüber dem Nationaltheater. Das über 200 Jahre alte Café war während der sowjetischen Besatzung Treffpunkt oppositioneller Politiker und Schriftsteller. Es wurde 1992 geschlossen und nach Bürgerprotesten fünf Jahre später wieder eröffnet.

Eine andere Institution ist das Café Louvre in einem prächtigen Jugendstilhaus. Hier diskutierten schon Berühmtheiten wie Kafka, Rilke, Einstein und Reporterlegende Egon Erwin Kisch über Prager Zeitgeschichte. Ob sie sich anschließend in einem der vielen Gourmettempel der Stadt die böhmische Küche mit Schweinebraten, Knödeln und Kraut schmecken ließen, ist denkbar, jedoch nicht überliefert.
Günter von Saint-George
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