Schweiz

Eiger, Mönch und Luxus

Mit der Jungfraubahn geht es zu verschneiten Gipfeln.

Schon im 19. Jahrhundert genossen Adelige Interlaken

Landidyll vor historischer Pracht: das Hotel Victoria-Jungfrau. Fotos: jm

Luxus wurde in Interlaken frühzeitig zelebriert. Den Maßstab setzte eine gewisse Josephine de Beauharnais, besser bekannt als die schöne Gemahlin von Napoleon I. Anfang des 19. Jahrhunderts wollte sie die Schweizer Alpen erkunden, ließ sich eigens für die Überfahrt vom Thunersee nach Interlaken ein Schiff bauen und die standesgemäße Kutsche brachte sie aus Paris gleich mit. Zwischen den Seen angekommen und beeindruckt vom Jungfrau-Massiv jauchzte sie immer wieder "C'est merveilleux!"

Das sprach sich herum. Goethe kam und Lord Byron, jede Menge russische Potentaten, indische Mogule, arabische Scheichs, britische Prinzen und Prälaten in Gottes Diensten. Sie alle flanierten, kutschierten, dinierten und machten Interlaken zu einem Hotspot der gehobenen Gesellschaft. Interlaken war zur Zeit der Reiseromantik des 19. Jahrhunderts bis zur Belle Époque der Jahrhundertwende einfach zu erreichen, aber trotzdem abenteuerlich: Es lockten zahlreiche Dreitausender, einige Viertausender, Gletscher und Wasserfälle, allein im Lauterbrunnental 72 Stück, darunter der Trümmelbach, der im Berginneren tosend abwärts donnert. Dichterfürst Byron schwärmte vom "Devil of a Path".

Andererseits war man in Interlaken sicher vor der Wildheit der Natur. Die Touristen von damals waren ja Adelige, Reiche, Künstler, die gerne komfortabel mit Gefolge, Diener und Kundschafter reisten. So entstand eine prosperierende Hotellerie in Interlaken. Ein Spielcasino kam hinzu, schließlich waren ja auch die Dostojewskis unterwegs. Und es entstand der Höheweg: 700 Meter Flanier- und Einkaufsweg - schon damals! -, gegen das großartige Alpenpanorama hin offen und unverbaut. Wer sich hier blicken ließ und die Jungfrau bestaunte, gehörte dazu.

Heute sind's die Japaner, die dem Zauber der Berge erliegen. Allerdings nur kurz für einen Foto-Stopover: klick-klick-klick, Eiger, Mönch und Jungfrau, zurück zum Bus und weiter. Aber auch neureiche, per Helikopter anreisende Etagenreservierer - vornehmlich aus Arabien - sind in Interlaken zu Gast und genießen diesen Charme von Luxus, den jüngere touristische Edeldestinationen wohl niemals erreichen. Die Historie, das Gewachsene macht den Unterschied aus. So ein Victoria-Jungfrau Grand Hotel, benannt nach einer Königin und einem der schönsten Alpengipfel, braucht keine Auszeichnungen wie "bestes Wellness-Hotel".

So ein Victoria-Jungfrau atmet lebendige Geschichte. Das kann man schon bei einer Tasse heißer Schokolade in der Bar spüren oder bei einem Rundgang. Dabei sieht man den original Unspunnenstein in der Lobby. Jenes Monster von 83,5 Kilogramm, den die stärksten Schweizer Männer auf bis zu vier Meter und elf Zentimeter stoßen beim seit 200 Jahren zelebrierten Unspunnenfest auf den Matten, der großen Wiese vor dem Hotel. In diesem Grand Hotel lebt aber auch seit zehn Jahren anonym und zurückgezogen eine Künstlerin. Ihr Zimmer hat Jungfrau-Blick, denn die Jungfrau ist ihr Motiv. Als wäre die Zeit stehen geblieben und Belle Époque statt Wirtschaftsflaute die Prämisse der Zeit.
Jochen Müssig
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