Schweiz

Stiller Winter, Schritt für Schritt

Ein verschneiter Obstgarten in Guarda zeigt Flagge.

Winterwandern ohne Gepäck von Dorf zu Dorf im Unterengadin

Das Dörfchen Ardez kuschelt sich an eine Bergflanke.

Inklusive Besen zum Schneefegen: Bank in Ftan. Fotos: cd

Draußen faucht der Frost. Minus achtzehn Grad zeigt das Thermometer am Morgen. Susch liegt noch im tiefen Schatten, die Engadinerhäuser mit ihren Trichterfenstern und reich verzierten Fassaden trotzen tief verschneit der Kälte. Mit der Überquerung des Inns beginnt der Weitwanderweg von einem Dorf des Unterengadin zum anderen.

Bei Lavin wird der Fluss auf einer Holzbrücke erneut überquert. Eine Teepause im Gasthaus muss sein und ein Besuch der Kirche mit ihren schönen Fresken, die jahrhundertelang unter Kalkputz verborgen waren. Eine Frau kommt entgegen, grüßt mit romanischem „Allegra“. Sonst ist niemand unterwegs hinauf nach Guarda, dem vielleicht schmucksten aller Engadiner Dörfer. In den Gärten recken die Bäume ihre mit Kristallen kandierten Zweige dem Himmel entgegen.

Weitwandern ohne Gepäck kennt man von Frühjahr bis Herbst. Im Winter wird es nur selten angeboten. Es gilt Wege zu präparieren, die man, anders als Skifahrer die Pisten, kostenlos benutzen darf. Das Unterengadin verfügt über insgesamt 160 Kilometer bestens präparierter und ausgeschilderter Winterwanderwege. Weil die Strecken verbunden sind, kann man hier tagelang unterwegs sein von Dorf zu Dorf. Es ist ein stilles Vergnügen, fast altmodisch in seiner Schlichtheit. Man setzt die Füße voreinander und freut sich an kleinen Dingen. Hagebutten, vom Herbst übrig geblieben, mit frostroten Köpfchen, die winzige Mützen tragen. Zweige, die zierliche Eiszapfen als funkelnde Juwelen angehängt haben. Bäume, in deren Astgabeln sich dicke weiße Kissen plustern. Am Ende des Tages genießt man in Ardez im Hotel das Dinner mit Pasta und Rotwein.

Über Nacht ist die Temperatur noch weiter gefallen. Der Frost brennt am Morgen trotz Kälteschutzcreme im Gesicht. Vor Ftan öffnet sich die Landschaft. Lavendelblaue Bänke, eine jede mit dem Besen zum Freifegen anbei, warten auf müde Wanderer. Der Wind ist weniger geworden. Auf der anderen Talseite, im Schatten der Unterengadiner Dolomiten, ragt stolz das Schloss Tarasp mit seinen Wehrmauern auf. Richtung Scoul fällt der Weg leicht ab. Die Schritte werden länger, vielleicht auch, weil außer dem Hotelbett auch das Bogn Engiadina mit seinen warmen Becken lockt, um dem drohenden Muskelkater beizukommen.

Am nächsten Morgen geht es hoch hinauf, ganz bequem, mit der Seilbahn auf den Motta Naluns, 2.146 Meter hoch. Der Himmel ist tiefblau, der Wind eingeschlafen, die Temperatur endlich gestiegen. Trotzdem tut man sich mit dieser Tagesetappe zunächst schwer. Der Weg führt direkt am Pistenrand steil bergan, dann fällt er ebenso jäh hinab, steigt wieder deutlich an, zweigt endlich von den Skihängen ab und folgt einem von der Pistenwalze breit gezogenen weißen Teppich. Als das Terrain erneut stark abfällt und die Gelenke genug von der Beanspruchung haben, wird die Jacke ausgezogen und als Rutschkissen benutzt. Sie übersteht den Härtetest.

Vor dem Gasthaus Vastur steht eine Armada von „Davosern“ zum Ausleihen. Mit dem Schlitten geht es auf seidenglatt präparierter Bahn ganz kommod bis zum Ortseingang von Sent, wo das Postauto nach Scuol abfährt. Wie ein Kind freut man sich über die Schlittenpartie und den gelungenen Streich, der letzten Strecke ein flottes Schnippchen geschlagen zu haben.

 

Winternwandern
Pauschale: vier Übernachtungen im DZ mit Frühstück, Gepäcktransport, Fahrkarten für Rhätische Bahn und Postbus, Seilbahn Scuol-Motta Naluns und
Winterwanderkarte pro Person 430 CHF, Zuschlag Halbpension 120 CHF, Zuschlag Einzelzimmer 90 CHF. Gültig von Mitte Dezember bis Ende März
Ausrüstung: Kleiner Tagesrucksack, warme Kleidung und gute Wanderschuhe sowie „Spikes“-Sohlenüberzieher für glatte Wegstücke.
Anforderung: Pro Tag 10 bis 13 Kilometer mit einer Gehzeit zwischen drei und fünf Stunden
Auskunft: Gäste-Info Scuol, Telefon 0 81 / 8 61 22 22, www.scuol.ch und www.engadin.com.

Claudia Diemar
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