Estland

Mittelalter und Moderne

Blick vom Domberg auf die Tallinner Altstadt.

Tallinn ist weitaus mehr als seine pittoreske historische Altstadt

Die Alexander-Newski-Kathedrale. Fotos: cd

Ein ganz normaler Dienstag, kurz vor Mitternacht: Draußen nieselt kühler Regen, drinnen wird gefeiert. Im "Clazz" geht die allwöchentliche brasilianische Nacht langsam ihrem Höhepunkt entgegen. Musiker und Sängerin geben alles. Zwei Dutzend Gäste tanzen ausgelassen, der Rest folgt dem Rhythmus mit wippenden Füßen. Fast jeden Abend wird hier live aufgespielt. Mitten in der historischen Altstadt Tallinns liegt der Jazz-Club, der zugleich als beliebte Bar und unkompliziertes Restaurant fungiert.

Die Hauptstadt Estlands ist vor allem für ihre malerische mittelalterliche Altstadt bekannt. Doch die Historie lebt. Kopfsteingassen führen zu angesagten Clubs, hinter den Resten der Stadtmauer warten hypermoderne Quartiere, Lokale und Designer-Läden. Restaurants, welche die estnische Küche modern und leicht interpretieren, nennen sich kurz und einprägsam: Leib, Mekk, Platz oder schlicht Ö. Alles ganz leicht zu merken. So finden auch Ortsfremde schnell ihren Weg zu trendigen Treffs wie dem Café Klaus am Fischerhafen, das direkt in die Boutique des House of Estonian Design übergeht.

Noch ein kongeniales Doppel findet sich an der Mere-Ringstraße: Sfärr ist eine hippe Adresse mit frischer Küche und angeschlossener Boutique mit Trendlabels für beide Geschlechter. Von hier aus sind es nur noch ein paar Schritte ins Rotermann-Viertel. Auf dem rund 80.000 Quadratmeter großen einstigen Industrie-Areal zwischen Altstadt und Fährhafen entstand in den letzten Jahren ein modernes Quartier mit kühner Architektur sowie angesagten Restaurants und Geschäften.

Etliche davon finden sich im überdachten Atrium, wie der Wohn-Design-Showroom Norr11.com, wo man schöne Einrichtungsgegenstände bestellen und sich kostenfrei nach Hause schicken lassen oder von daheim aus per Internet bestellen kann. Zudem werden monatlich einige ausgesuchte Stücke verlost. Schräg gegenüber findet sich eine Confiserie mit Produkten der seit Generationen beliebten estnischen Kalev-Schokoladenfabrik.

Delikatessenläden, Vintage-Shops mit Edelteilen und pfiffigen Accessoires sowie zig Modeboutiquen machen das Angebot komplett - besonders als trocken-warme Zuflucht an Regentagen, von denen es in Tallinn nicht wenige gibt.

Wie vertraut der Dialog zwischen Mittelalter und Moderne funktioniert, zeigt sich auch am so genannten "Meisterhof". Von der kopfsteingepflasterten Vene-Gasse mit dem bildschönen historischen Hotel Telegraaf zweigt ein Höfchen ab, das sich noch vor wenig mehr als einem Jahrzehnt in völlig heruntergekommenem Zustand befand. Heute ist das Ensemble restauriert und eine Idylle.

Ein plüschig-gemütliches Café mit Chocolaterie liegt gegenüber dem Design-Laden von Emma Leppermann mit bildschönen Accessoires, etwa aus recycelten Lederjacken. Ausgefallene Teile wie "zwei Mützen und ein Schal zugleich" liegen neben handgenähten Bären aus alten Tweedstoffen.

Und nebenbei bemerkt: Auch wenn die Oberstadt, genannt Domberg, vor allem aus Botschaften und Bernsteinläden besteht: Abends, wenn letzte Sonnenstrahlen auf die Dächer der Altstadt strahlen, muss man hier hinauf, um Tallinn von der Kohtu-Terrasse aus von seiner schönsten Seite zu sehen.
Claudia Diemar
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