Portugal

Die Fischer, die die Zeit anhalten

Schmale Insel mit neun Kilometer langem Atlantik-Traumstrand: Auf Culatra vor der Küste der Algarve gibt es kein Hotel und keine Pension.

Auf den vergessenen Inseln vor der Küste der Algarve

Die Hand voller Stabmuscheln: In der Lagune vor Culatra befinden sich Muschelfarmen.

Typisch portugiesische Fliesenkunst an einem Fischerhaus. Fotos: hs

Nur der Wind schaut vorbei. Er trifft sich hier mit der Sonne. Und sonst ist fast niemand da: an diesem Vormittag nur zwei, drei Paare mit ein paar Badelaken und einem Sonnenschirm am neun Kilometer langen Sandstrand – weil fast keiner von dieser Insel und ihren vier Nachbar-Eilanden weiß. Auch nicht davon, dass Sonne und Wind sich hier zum Spielen verabreden. Zwei Orte nur gibt es und kein einziges Hotel, keine Pension – weil die Einheimischen das nicht wollen.

Es würde Unruhe in ihren Alltag bringen, das Leben verändern – das der 980 Einwohner von Culatra, fast alles Fischer oder Muschelfarmer mit ihren Familien, und das der 14 Einwohner von Farol im äußersten Inselwesten, von denen die Hälfte als Leuchtturmwärter arbeitet. Ihr gemeinsames Ziel: die Zeit anhalten, den Alltag festhalten, das vertraute Leben so führen wie seit jeher.

Die fünf Eilande vor Faro und Olhao, die die Ria-Formosa-Lagune zum offenen Atlantik hin wie ein Riegel schützen, sind die vergessenen Inseln der Algarve: Eilande mit nichts als kleinen Fischersiedlungen und Straßen aus Sand, mit Bars und Restaurants unter Sonnenschirmen und Markisen, mit kilometerlangen Dünenstränden und ganz ohne Autos.

Nur einige Traktoren zum Lastentransport durch den Sand sind dort unterwegs, wenn wieder mal ein paar Kisten Bier, eine Palette Mineralwasser und ein paar Kartons mit Cachaca-Flaschen angelandet werden. Sie tuckern vorsichtig durch die Gassen zu den zwei Tante-Emma-Läden und den Gaststätten von Culatra, um nur ja nicht mit den vielen Blumentöpfen vor den Häusern oder den halb im Sand versunken Pflanzkästen zu kollidieren.

Das Festland mit seinen Touristenhochburgen ist nur drei Kilometer Luftlinie entfernt. Trotzdem braucht die Fähre von Olhao auf Zickzackkurs vorbei an Sandbänken und Untiefen zwischen 30 und 45 Minuten bis zum Anleger der Hauptinsel Culatra, die so heißt wie ihr größter Ort. Meistens vier-, im Sommer bis zu siebenmal am Tag fährt das alte Schiff und hat neben Einheimischen und Paletten mit Getränkekisten allenfalls Tagesbesucher mit an Bord. Bis nach sieben am Abend, wenn die letzte Fähre zurück ablegt, bleibt nur, wer sich später ein Wassertaxi zum Festland ruft – oder einen kennt, der einen kennt, der sein Häuschen auf Culatra vermietet.

Die Fischer von Culatra, die Leuchtturmwärter von Farol, die paar Familien aus Hangares, die Muschelfarmer aus Armona haben ein gemeinsames Ziel: unbedingt die Zeit anzuhalten. Nichts ändern. Weiter ihre Arbeit machen, ihren Alltag leben. Es ist ihnen bisher ziemlich gut geglückt.

Ihre Inseln sind aus der Welt gefallen, und seit jeher bestimmen vor allem Mond und Gezeiten den Ablauf allen Tuns. Am Anfang steht jedes Mal die Fangfahrt hinaus auf die Lagune oder auf den Atlantik. Meist gegen Mittag sind die Männer zurück, haben dann ihre Ausbeute bereits drüben auf dem Festland in Olhao angelandet, knoten ihre kleinen Boote wieder an den Steg, zu Hause in Culatra. Sie verschwinden dann auf ein „Sagres“-Bier in eine Bar und halten bald darauf Mittagsschläfchen mit dem Rücken an die schattige Wand der Kirche gelehnt.

„Culatra“, sagen die Leute vom Festland, „sieht aus, als hätte es einen Landstrich aus dem Nordosten Brasiliens vor Europas Küste gespült. Und irgendwie fühlt es sich dort auch so an.“
Helge Sobik