Rumänien

Familienurlaub unter Pelikanen

Am besten lässt sich das weltweit größte zusammenhängende Schilfgebiet mit dem Boot erkunden.

Donaudelta in Rumänien: Expedition in einen kinderkompatiblen Urwald

Zum Abendessen gibt’s ‧Selbstgeangeltes. Fotos: fh

„Was wollt ihr – fischen? Vögel be‧obachten? Pelikane? Kann ich alles ab Crisan organisieren.“ Mit einer schnellen Bewegung streicht der Pensionswirt Gheorghe die Karte glatt. Sie sieht gut aus, irgendwie professionell, ist aber eigentlich unnötig, denn der Weiler Crisan liegt inmitten des ‧Donaudeltas in Rumänien, umgeben von einer rund 5.000 Quadratkilo‧meter großen Wasserfläche, rund drei Bootsstunden von der nächsten Stadt Tulcea entfernt.

Durchgehende Straßen gibt es hier keine. Wie auch, steht doch Crisan auf einem der wenigen „Grinduri“, ‧einem schmalen Streifen fester Landmasse, der auch Häuser trägt. Drumherum: Nichts als Wildnis. Seen, die sich bis zum Horizont erstrecken, Schilfgebiete und scheinbar undurchdringliches Dickicht, das sich erst auf den zweiten Blick als schwimmende Inseln herausstellt.

Wäre der Titel „letzter Urwald“ Europas nicht schon fahrlässig an Dutzende andere Lokalitäten vergeben, hier würde er zur Abwechslung wirklich passen, denn das Donaudelta sammelt Auszeichnungen und Superla‧tiven wie ein Spitzensportler: das größte Feuchtgebiet von Europa, das größte zusammenhängende Schilfgebiet der Welt, seit 1991 Unesco-Weltnaturerbe und Biosphärenreservat – und natürlich das zweitgrößte Flussdelta in Europa. Nur die Wolga kann der Donau sprichwörtlich das Wasser reichen.

Wer diese Welt entdecken will, braucht ein Boot. Aber auch das hat der Wirt selbstverständlich parat, genauso wie die passenden Bootsführer und sogar Schwimmwesten in Kindergröße. Hier im Alleingang loszuschippern wäre schier unverantwortlich. Die Attraktionen von Crisan sind dagegen überschaubar: Der Ort hat genau einen Trampelpfad, an der sich die gedrungenen Häuser aufreihen und einen kleinen Laden mit halt‧baren Waren. Das alles klingt spannend, aber nicht wirklich nach einem Kinderparadies. Doch der Eindruck täuscht. Es dürfte schwer sein, in ‧Europa einen vergleichbar wilden Flecken zu finden – und die Möglichkeit, Wildnis so nah und ungefährlich zu erleben.

Ein spezielles Kinderprogramm ist im Delta gar nicht nötig: Selbst mit Kind und der entsprechenden Geräuschkulisse ist der Weg durch die Lianen-verhangenen Kanäle, mäandrierenden Flüsschen, durch Schilfgestrüpp und über den Alt-Arm des Donauhaupt‧kanals Brabul Sulina von Tieren gesäumt: Kormorane, Reiher, Kraniche, Störche, Hunderte schillernd-türkiser Eisvögel flattern zum Greifen nah vorbei, während kleine Staudämme auf Bieber schließen lassen. Sogar ein gigantischer Adler erhebt sich vor dem Boot aus dem Gestrüpp – ein Tier, dessen schiere Größe die Kinder ins

Boot ducken lässt. Die größte Sensa‧tion sind jedoch die Pelikankolonien des Trei-Iezere-Sees.In Bilderbüchern sind Pelikane immer putzig und tragen im Schnabel gerne mal eine Tonne Hausstand mit sich herum, den sie bei passender Gelegenheit hervorkramen. In Wirklichkeit sind sie vor allem eines: Unglaublich groß. Und zahlreich.

Wenn tausende von Pelikanen schwerfällig ihre zweieinhalb Meter Flügelspannweite ausstrecken, dann geht das nicht leise oder harmonisch vor sich: Unter schrillem Gekreische und Geflatter nehmen die schweren Tiere Anlauf, zwischendrin ein paar Kormorane, die wie eine Kindergartengruppe unter Fußball-Hooligans wirken. Ein Erlebnis, das auch Kindergartenkinder sprachlos zurücklässt.

Zurück in Crisan zeigt sich das Delta von der kinderfreundlichen Seite: Mit zwei Angeln schickt der Gastwirt die Familie noch einmal zum Essen fangen an die Rückseite des Gebäudes und baut derweil das Bett so um, dass es schier unmöglich ist, nachts rauszupurzeln. Auch der knallgrüne Frosch auf dem Klokasten gehört scheinbar zur liebevollen Ausstattung – bis er erschreckt aus den Kinderhänden springt.
Françoise Hauser