Dänemark

Zum Schmelzen schön

Teufelsmund haben die Einheimischen den glasklaren Schmelzwassersee auf dem Inlandeis getauft.

Grönland: An der Westküste sorgen Tausende Gletscher für eisigen Nervenkitzel

Kim Petersen kennt das Inlandeis bei Kangerlussuaq wie andere ihren Vorgarten. Fotos: mw

Der Klimawandel raubt manchem den Schlaf. Als Donner grollt er alle paar Minuten über die Bucht und selbst bei geschlossenen Fenstern bis in die Betten in den rot getünchten Holzhäuschen. Dann ist wieder ein Eisbrocken aus der drei Kilometer breiten Front des Eqi-Gletschers 160 Meter tief ins Meer gestürzt. So groß sind die Stücke bisweilen, dass noch hier in zwei Kilometern Entfernung haushohe Flutwellen drohen.

Eqi ist einer der großen Ausflussgletscher vom grönländischen Inlandeis. Er liegt rund 70 Kilometer nördlich des Fischereihafens Ilulissat an der Westküste in absoluter Abgeschiedenheit. Ein Boot der Reederei Disco-Line fährt im Sommer täglich hin. Eine Reise, die sich lohnt: Fern der Touristenscharen bietet das Camp ein intimes Naturerlebnis, entweder in elf rustikalen Hütten oder vier Bungalows. Von Sommeranfang bis Mitte September sind die Unterkünfte mit Restaurant nahezu ausgebucht.

„Der Klimawandel ist hier allgegenwärtig“, sagt der Däne Adam Waarst, der in diesem Jahr das Camp leitet. Schon in den wenigen Jahren, seit Bundeskanzlerin Angela Merkel im August 2007 hier für den Klimaschutz warb, hat der Eisstrom sein Gesicht stark verändert. „In diesem Jahr sind die Abbrüche besonders anhaltend. Vermutlich ist der Gletscher an der Strandlinie angekommen. Seine Zunge treibt also bald nicht mehr auf dem Meer“, berichtet Waarst. Die Eisschollen in der Bucht dürften damit demnächst Vergangenheit sein. In zehn, vielleicht 15 Jahren könnte das Camp seinen spektakulären Gletscherblick verlieren.

Das Inlandeis selbst wird es fraglos weitaus länger geben. Wie dieser bis zu 3,5 Kilometer dicke Eispanzer auf die Erderwärmung reagiert, ist dennoch eine der großen Fragen in der Klimafolgenforschung. Seine vollständige Schmelze ließe den Meeresspiegel weltweit um rund sieben Meter steigen. Einen eigenen Blick auf die Eiskappe kann man gleich vom internationalen Luftdrehkreuz der Insel in Kangerlussuaq aus werfen. Dänen und Amerikaner richteten dort am Ende eines geschützten Fjords einen Flughafen für militärische Zwecke und den Trans‧atlantikverkehr ein. Die meisten der 550 Einwohner im Dorf arbeiten noch heute für die Betriebsgesellschaft.

Einer der wenigen anderen ist Kim Petersen. Seit zwei Jahrzehnten geht der gebürtige Bornholmer auf das Eis. Viele Expeditionen hat er begleitet. In den 90er Jahren hat er es sogar in 42 Tagen auf Skiern überquert. Heute geht alles einfacher. In einem alten Feuerwehrauto mit dem Aufbau eines US-amerikanischen Schulbusses chauffiert Kim Touristen über eine Wellblechpiste die 36 Kilometer landeinwärts bis zum Eisschild.

Punkt 660 heißt die Stelle nach einem Vermessungspunkt 660 Meter über dem Meer. Der VW-Konzern ließ die Piste vor 15 Jahren anlegen. Kurzzeitig testeten die Autobauer ihre Fahrzeuge auf dem Eis. Heute liegt es hinter einer feuchten Moräne aus brauner Schlacke da wie unberührt.

Petersen, immerhin schon 56 Jahre alt, marschiert mit Stöcken und Steigeisen zügig voraus, immer weiter hinein in ein einmaliges Labyrinth aus Eishügeln, mäandernden Gletscherläufen und eisblauen Seen. 30 Meter habe der Eispanzer an Dicke verloren, seit Petersen das erste Mal kam. Im Winter herrschen hier immer noch strenge Minusgrade. Doch im Sommer sucht sich bei 15 bis 17 Grad Lufttemperatur an der Eisoberfläche immer mehr Schmelzwasser einen Weg ins Meer.

Nach mehreren Stunden Wanderung steht Petersen an einem tiefblauen See auf dem Eis. Vor einer vorgewölbten Eiswand mit einem schwarzen Loch darin hat er sich ausgebreitet. „Teufelsmund“ nennt Petersen den See voller Ehrfurcht. Ein Ort von fragiler Schönheit in totaler Stille. Nur das Platschen ist zu hören, wenn Schmelzwasser in dicken Tropfen zu Boden fällt.

Martin Wein

Buchungsinfos
Der Veranstalter World of Greenland organisiert von Mitte Juni bis Mitte September täglich Bootsausflüge zum Eqi-Gletscher und Aufenthalte im Eqi-Camp (www.worldofgreenland.com/de). Touren zum Inlandeis vermittelt von Juni bis November und Februar bis April World of Greenland – Arctic Circle (www.wogac.com). Weitere Infos unter www.greenland.com/de.

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