Großbritannien

Unter Möwen und Paradiesvögeln

Blick auf den Brighton Pier, der zum Rummelplatz umfunktioniert wurde.

Brighton: Das britische Seebad gilt als gesündeste Stadt des Königreichs, ist aber randvoll mit Verlockungen zum Schlemmen, Shoppen und Feiern

Zum Sporttreiben beliebt: die Promenade zwischen Brighton und Hove.

Kirmes, …

… Kunst und …

…Krimskrams: Brightons Shopping- und Freizeitangebot ist verführerisch vielfältig. Fotos: pa

Samstagmorgen an der Seafront von Brighton. Ein kalter, strahlend blauer Tag im Dezember. Die weißen Fassaden der Seebadarchitektur leuchten in der frisch aufgestandenen Sonne. Eichhörnchen turnen in den winternackten Bäumen, Möwen vollführen über dem Kiesstrand anmutige Flugformationen.

Auch die menschlichen Bewohner der südenglischen Stadt sind schon sportlich unterwegs. Auf der Promenade sausen Skater dahin, strampeln rotgesichtige Radler gegen die eisigen Böen, die vom Ärmelkanal herüberwehen, und traben Jogger der verschiedensten Alters- und Fitness-Klassen an dem Stahlgerippe des abgebrannten West Piers vorbei in Richtung der bunten Badehäuschen von Hove und zurück, teils in flatternden Shorts, teils mit Pudelmützen.

Brighton gilt als gesündeste Stadt des britischen Königreichs. Doppelt so viele Leute wie in London fahren hier mit dem Fahrrad zur Arbeit. Die Zahl der Fitnesscenter, Yoga-Studios und Bioläden bewegt sich deutlich über dem Landesdurchschnitt und die der Fast-Food-Ketten und Fettleibigen ebenso deutlich darunter.

Eigentlich nimmt das auch nicht wunder, denn als ältestes Seebad Englands hat die Gesundheitspflege in Brighton eine lange Tradition. Es begann Mitte des 18. Jahrhunderts, als ein Mediziner namens Richard Russel die therapeutischen Eigenschaften von Salzwasser entdeckte und die hohe Londoner Gesellschaft zum Kuren in den damals noch gänzlich unmondänen Fischerort Brighthelmstone anrückte, darunter kein geringerer als der Prinz von Wales. Seine Exzellenz wollte an der See seine geschwollenen Halsdrüsen behandeln lassen, mehr aber noch der strengen Etikette am Hofe seines Vaters entfliehen, um unbehelligt den süßen Seiten des Lebens zu frönen – Glücksspiel, Geliebte, Theater, Pferderennen.

Über die Jahre wuchs sich die Residenz des späteren Kronprinzen Georg IV. von einem schlichten Bauernhaus zu einem Wahnsinnslustschloss von sagenhaft eklektischer Opulenz aus, irgendwas zwischen Mogulpalast und chinesischem Tempel, proppenvoll mit lotusförmigen Lüstern, Baldachinen mit Sternenhimmelmotiven, Spode-Porzellanvasen, Satinholzfurniermöbeln, goldenen Fransenbortenvorhängen und sich an Kuppeldecken windenden, goldgrün schillernden Fabelwesen. Rundherum um den Royal Pavilion erblühte Brighton zu einer eleganten Küstenstadt mit Häusern im Regency-Stil, Piers und Parks.

Das Lustschloss zählt zweifelsohne zu den Must-Sees der 250.000-Einwohner-Stadtgemeinschaft Brighton & Hove, die jährlich mehr als acht Millionen Touristen anzieht. Wie ein Wirklichkeit gewordenes Wolkenkuckucksheim, das irgendwo aus dem Himmel über Indien herbeigeschwebt ist, thront das exotische Zwiebelkuppelminarettgebilde in einem Park hinter dem Gassenlabyrinth der Lanes. Dieses verkehrsberuhigte Viertel, das mal die Keimzelle von Brighton war, verführt heute mit Hunderten individueller Läden und Lädchen zu wahren Shopping-Orgien.

Gleich daneben geht es in den Straßen und Sträßchen von Kemp Town und der North Laine mit den Verlockungen weiter: Alternative Boutiquen und Second-Hand-Shops mit extravaganter Mode, Galerien mit grellen Kunstwerken, flippige Friseurateliers, Allerleiläden mit Tand und Trödel, außerdem Spezialgeschäfte für Hollandfahrräder, Musikinstrumente, Naturkosmetik, Comics, vegetarische Schuhe und Erotikartikel soweit das Auge reicht. Schönes und Schrilles, Kunst und Kitsch, Vintage-Krimskrams und auf Vintage gemachter Krimskrams.

Einkaufszone auch für die Paradiesvögel und Neo-Bohemians, die Brighton in Nachfolge des exzentrischen Prinzregenten heute scharenweise bevölkern und Nonkonformismus gewissermaßen zum Mainstream erheben – Freaks mit Filzhaaren und Piercings, verwegene Gestalten mit Westernmänteln, breitkrempigen Hüten und Piratenstiefeln, Dandys mit Gehrock und Spazierstock, die aussehen, als wären sie aus den Seiten eines Charles-Dickens-Romans in die Gegenwart gepurzelt.

Zur Einkehr locken Cafés mit Kaffee- und Kakaospezialitäten, Shops mit Bubble Tea, Frozen Yogurt und Milch-Shakes in 150 Geschmacksrichtungen, Restaurants für Vegetarier und komplette Tierproduktverächter und schließlich unzählige Konditoreien mit köstlichen Kalorienbomben – saftige Muffins und Tortentürme mit blumigen Verzierungen, aus denen Karamell, Buttercreme und dunkles Mousse quellen. Und wehe dem, der sich im kulinarischen Kosmos der Church Road verliert – mexikanisch, persisch oder doch lieber thailändisch?

Stets sind die Lokale gut besucht, ob morgens, mittags oder abends. Denn es ist nämlich keineswegs so, dass sich die Einheimischen, nur weil sie very sportlich sind, auch einen asketischen Lebensstil verordnen. Wie einst schon der Kronprinz sind sie allen möglichen Sinnesfreuden zugetan, von feiner Unterhaltungskunst bis zu schnöder Kurzweil, worauf zumindest der Brighton Pier hindeutet, der sich in einen Rummel mit lärmenden Spielhöllen, Achterbahnen, Karussells und Fish & Chips-Buden verwandelt hat und selbst dann voller Menschen ist, wenn wie an diesem Winterabend die Sonne als Goldmedaille im Meer versinkt und die Möwen am flammenden Himmel großartige Flug-Shows absolvieren.

Als Tourist, der seine Sportsachen zuhause gelassen hat, ist man fein raus, weil man sich vollkommen hedonistisch und intensiv den ganzen Reizen hingeben kann. Und das muss man auch, wenn man den Fehler begangen hat, nur für ein verlängertes Wochenende anzureisen. Denn die gute Anbindung vom Flughafen London-Gatwick macht Brighton zwar zum perfekten Kurzreiseziel, das breite Angebot zum Schlemmen, Shoppen, Feiern und Faulenzen aber ganz und gar nicht.

Erst recht gerät man in Bredouille, wenn auch noch irgendein Flohmarkt oder ein Festival stattfindet, was eher die Regel als die Ausnahme ist. Sei es, dass man im Advent den lauffreudigen Städtern beim Weihnachtsmann-Run zuschaut, im März über das Vegetarier- oder Walfest streift, im August die Gay & Lesbian-Parade erlebt oder bei den „Artists Open Houses“ überall in der Stadt und in den viktorianischen Gewölbebögen an der Promenade in die Kunstszene eintaucht. Keine Frage: Sporttreiben hebt man sich besser für daheim auf. 

Pilar Aschenbach

Shoppen, Schlemmen, Feiern
Weitere Informationen zu Sehenswürdigkeiten, Einkaufsmöglichkeiten, Gastronomie und Veranstaltungen bietet das Tourist Board Visit Brighton unter www.visitbrighton.com.

 
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