Deutschland

Frankfurt: Die Welt auf einem Fleck

Das Bahnhofsviertel der Mainmetropole wird zur Touristenmeile

Am Anfang ist alles Pracht. Nachdem der Frankfurter Hauptbahnhof am 18. August 1888 in Dienst geht, entsteht vor ihm ein elegantes Viertel. Die Kaiserstraße als zentrale Achse wird als breiter, prunkvoller Boulevard mit Bäumen angelegt. Pompöse Gründerzeithäuser mit Balkonen, Säulen, Erkern schießen aus dem Boden. Im Erdgeschoss des Bahnhofs locken elegante Geschäfte, darüber riesige Wohnungen mit Parkett und Stuck für das gehobene Bürgertum. Erstaunlich viele Häuser überstehen den Zweiten Weltkrieg. Und dennoch geht es danach bergab. Das Quartier wird zur zweifelhaften Vergnügungsmeile, gern frequentiert von den amerikanischen Soldaten. Zu den Bordellen gesellen sich Dealer und Junkies. 

Trotzdem bleibt das Bahnhofsviertel ein vitaler Ort. In dem vom Bürgertum verlassenen Terrain kann man sich billig einmieten. Türkische Teestuben, arabische und asiatische Tante-Emma-Läden entstehen. Was das Viertel in seinen schlimmsten Zeiten über Wasser hält, sind seine ausländischen Bewohner. Nirgendwo in der Mainmetropole gibt es so viele kleine Lebensmittelgeschäfte mit einem derart breiten Angebot. Frische Fische und Meeresfrüchte, exotische Gemüse und Gewürze werden an jeder Ecke feilgeboten. Die Münchener Straße wirkt wie ein bunter Basar. 

Das Bahnhofsviertel ist ein Ort in Bewegung, ein Platz des Flüchtigen und Fremden. Dazu zählen auch die Reisenden. Nirgendwo in Europa ist die Hoteldichte größer. Über 5.000 Gästebetten in allen Kategorien, vom einfachen Hotel bis zur Luxusherberge, wurden zuletzt gezählt. Ob im Stil von Tausendundeiner Nacht in der „Villa Oriental“ oder in der trendigen Luxusherberge „Roomers“ – für jeden Geschmack steht ein Bett bereit. 

Zur Messe ist es nur ein Katzensprung, in die City mit ihren Wolkenkratzern noch näher. Erholung findet man am Fluss. „Nizza“ wird die Parkanlage entlang des Mainufers genannt. Sie trägt ihren Namen völlig zu Recht. Im Windschatten der roten Sandsteinmauer, die den Mainkai vor eventuellem Hochwasser schützt, gedeihen Bananen, Palmen, Zedern und Zaubernüsse. Der Holbeinsteg führt die Flaneure auf die südliche Seite des Flusses mit dem Museumsufer. 

4.000 Bewohner leben heute in den Straßenzügen zwischen Zentralstation, Mainufer und Bankenviertel. Vor wenigen Jahren fand das Viertel zu neuem Selbstbewusstsein. In der Kaiserstraße gibt es wieder zweimal wöchentlich einen Markt. Eine alte Fabrik wird zu Künstlerateliers umgewidmet. Plötzlich sind die Hipster da. Szenebars und schräge Restaurants wie das „Plank“, das „Pracht“ oder „Maxie Eisen“ sind In-Treffs. Und luxussanierte Wohnungen gehen für eine Million Euro weg. Viele fürchten eine Gentrifizierung. Noch aber ist die Mischung aus Altem und Neuem, Schickem und Schäbigem atemberaubend.

Claudia Diemar
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