Frankreich

Über den Dächern von Cannes

Herausforderung für Fassadenkletterer: die Balkone im sechsten Stock des Carlton in Cannes, wo Hitchcock „Über den Dächern von Nizza“ drehte.

Zu Besuch an den Drehorten eines Kino-Klassikers mit Cary Grant und Grace Kelly  

John Robie hätte es heute schwerer als damals. Inzwischen gibt es massive Riegel an den Zimmerfenstern und Überwachungskameras in den Korridoren des Carlton Hotels in Cannes. Aber wenn jemand die Fenster bei Nacht einen Spalt offen lässt, damit er das Meeresrauschen und die Autos unten auf der Croisette hören kann, flattern die Vorhänge noch genauso im Wind wie damals Mitte der 1950er Jahre vor der Film-Kamera. Wie damals, als erst nur ein Arm von draußen die Gardinen zur Seite strich und schließlich ein schwarzer Schatten im Mondlicht hereinsprang und Juwelen raubte, weil die Story des Filmes es so wollte.

Was ebenfalls so ist wie früher, sind die niedrigen Metallgitter zwischen den kleinen Balkonen im sechsten Stock: allesamt leicht überwindbar für einen geübten Kletterer wie John Robie alias „die Katze“, den erfolgreichster Juwelendieb seiner Zeit an der französischen Riviera. Alfred Hitchcock hat ihn mit seiner Verfilmung von „To catch a thief“ dazu gemacht – ein Kino-Welterfolg, der in der deutschsprachigen Fassung den räumlich nicht ganz akkuraten Titel „Über den Dächern von Nizza“ trägt.

Wunderschöne Erinnerungen

„Spektakuläre Diebstähle gab es bei uns im Haus nur im Film“, erinnert sich Louis Menin, der das Team damals als Etagenkellner bedient hat. „Gestohlen wurde nur für die Kamera. Und am Ende war es ja gar nicht John Robie, gar nicht Cary Grant. Obwohl die Leute im Kino das zunächst glauben sollten.“ Erst haben sie in Zimmer 623 gedreht, dann unten am Strand vorm Hotel, wo Grant und Grace Kelly zu einem Ponton schwimmen mussten. Und was alle Bilder aus der Vergangenheit in Menins Erinnerung deutlich überlagert, ist dies: „Grace Kelly war sehr, sehr schön. Magnifique!“

Ob dieser Film auch Einfluss auf die Leidenschaft von Fabrice Le Roy genommen hat? Der antwortet mit einem lang gezogenen „Ouuii“ darauf, während er den Zündschlüssel seines roten 1967er Mercedes 250 SL Pagoda umdreht. Le Roy sammelt flotte Oldtimer, typische Riviera-Autos.

Wagen wie das Cabrio vom Typ Sunbeam Alpine Mark III, in dem Grace Kelly als Francie Stevens den vermeintlichen Juwelendieb John Robie alias Cary Grant im Rallye-Tempo über die Serpentinen der hoch gelegenen Grand Corniche zwischen Nizza und Monaco chauffiert hat, um ihn schließlich in einer Kurve mit bestem Blick hinüber aufs Meer und auf Monte Carlo zu küssen.
25 Auto-Klassiker hat er inzwischen in seiner Garage stehen und vermietet sie. Warum das Geschäft so gut läuft? „Weil diese Gegend Klasse hat. Weil meine Autos hierher passen. Weil hier ‚Über den Dächern von Nizza‘ gedreht wurde. Weil du an der Riviera nicht schnell fahren kannst, dafür mit Stil.“

Am hellichten Tag

Und wenn es zu Louis Menins aktiver Zeit und selbst in den Jahrzehnten danach tatsächlich keine Schmuckdiebstähle im Carlton gegeben haben mag, ausgerechnet 2013, im Jahr des hundertsten Hotel-Geburtstages, war es doch so weit. Katzenhafte Eleganz war nicht gefragt. Ob es ein Gentleman-Ganove war, ist nicht bekannt.

Ohne einen Schuss abzugeben, räumte er in Windeseile die Vitrinen einer Schmuckausstellung leer und entkam unerkannt mit einem Koffer voller Juwelen. Verletzt wurde niemand, gefilmt hat die Tat am hellichten Tag nur die Überwachungskamera. Die Qualität der Bilder soll schlecht sein. Der Täter ist flüchtig, die Beute wird auf 103 Millionen Euro geschätzt. Filmreifer Stoff.

Helge Sobik
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