Frankreich

Toulouse: Landstrich der Genüsse

Die Region „Pays de Cocagne“ ist ein Schlaraffenland

Der Zauber wirkt, innerhalb von ein paar Sekunden. Man hat zwar gezögert, den jungfräulich weißen Seidenschal in die Pampe einzutunken. Das Hexengebräu im Holzbottich wird einem auch nicht sympathischer, als man erfährt, dass früher beim Färben sogar menschlicher Urin verwendet wurde. Wenn der Schal wieder ans Tageslicht kommt, ist er wie erwartet schmutzig-grün. Doch dann geschieht das Unglaubliche: Der Stoff verändert die Farbe – und wird plötzlich himmelblau.

Wohlhabend durch „blaues Gold“
Ein Extrakt aus einer unscheinbaren Pflanze machte den Südwesten Frankreichs in der Renaissance in ganz Europa bekannt: Die Blätter des Färberwaids sorgen dafür, dass sich schlichte Stoffe durch die Oxidation mit dem Sauerstoff der Luft blau verfärben. Überall begehrte man den zauberhaften Wirkstoff. Im Dreieck Albi, Carcassonne und Toulouse verdienten sich die Händler mit dem „blauen Gold“ eine goldene Nase.

Wie reich man mit dem Pigment werden konnte, beweist im Zentrum von Toulouse das Hotel d’Assezat, heute ein Kunstmuseum. Und die Kathedrale der hübschen Kleinstadt Albi wäre heute nicht so prächtig, hätten die Händler damals nicht so großzügig für deren Ausstattung gespendet.

Im Toulouse des 21. Jahrhunderts setzt man zwar auf Luft- und Raumfahrt. Bei einer Werksbesichtigung darf man zusehen, wie Airbus den A380 baut. Nebenan im Aeroscopia-Museum steht sogar eine Concorde, und Aviasim lässt einen beim Simulator-Training auch an Joystick und Steuerknüppel.

Doch in letzter Zeit ist auch Pastel (so heißt hier der Färberwaid) wieder en vogue – vor allem bei Touristen. Eineinhalb Autostunden westlich von Toulouse, im ländlichen Departement Gers, weihen einen im Dörfchen Lectoure die Färberinnen Severine de Breucker und Cecile Gex von „Bleu de Lectoure“ in die Geheimnisse des Pastel ein. Landauf, landab verkaufen Boutiquen mit Pastel gefärbte Stoffe – und Hautcreme aus den Samen wird als das allerneueste Wundermittel gegen Falten gepriesen.

Spezialitäten auf den Märkten
Das Departement Tarn nordöstlich von Toulouse gilt als „Pays de Cocagne“ – die französische Bezeichnung für das Schlaraffenland. Die Blätter des Färberwaids wurden einst fein zerkleinert als Kugeln in Europas Handelsstädte geschickt, die man „cocagne“ nannte. Sie sind zum Synonym geworden für einen Landstrich, in dem man sich alle Genüsse leisten könnte.

Statt Milch und Honig fließen aber eher die Weine aus dem kleinen Anbaugebiet von Gaillac. Auf den Märkten muss man sich auch nicht durch ein Gebirge aus Pudding essen, trotzdem türmen sich hier die Spezialitäten: Taubenpastete, Gänseleber, der Bohneneintopf Cassoulet, rosafarbener Knoblauch, zentimeterdicke Taler Ziegenkäse. Dazu stammt das aromatischste Obst und Gemüse des Landes aus dem ländlichen Okzitanien: Die Ochsenherztomaten, Nektarinen und Melonen haben nichts mit dem gemein, was man in Deutschland bekommt.
Helge Bendl
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