Kanada

Wo die Bucht leer läuft

Entlang der Bay of Fundy in der Provinz New Brunswick

New Brunswick ist eine der Atlantikprovinzen Kanadas und grenzt auf zwei Seiten ans Meer: Entlang seiner Ostküste liegt der Golf von Sankt Lorenz und im Süden erstreckt sich die Bay of Fundy. Während die Ostküste weite Dünenlandschaften aufweist, ist die Südküste New Brunswicks im Fundy National Park nur zu Fuß zugänglich und fällt an vielen Stellen steil ab zur großen Bucht, die die Provinz von Nova Scotia trennt.

Diese Meeresbucht besitzt den höchsten Gezeitenunterschied der Welt: bis zu 21 Metern unterscheidet sich der Wasserpegel bei Ebbe und Flut, so dass sich die gesamte Bucht zweimal pro Tag füllt und wieder leert.

New Brunswick ist die einzige Provinz Kanadas, die zweisprachig ist. Während der Süden geprägt wird von den Nachfahren britischer Patrioten, die während der amerikanischen Revolution Zuflucht im kanadischen Nachbarland im Norden suchten, leben im Nordosten der Provinz Nachfahren der französischsprachigen Akadier und Frankokanadier.

Besonders spürbar ist der britische Einfluss in der Umgebung von St. Andrews-by-the-Sea nahe der Grenze zu Maine. Der spitze Kirchturm im Stadtzentrum erinnert an irgendein beliebiges Dorf in Neuengland, genauso wie die schmucken Häuser und Villen, die auf den Wohlstand vergangener Zeiten hinweisen. Heute ist der Ort ein echter Geheimtipp. Er besitzt mit den Kingsbrae Gardens eine der attraktivsten Parkanlagen Kanadas.

Nicht weit entfernt liegt die Insel Minister's Island, auf der einst der mächtige Eisenbahnbaron Cornelius van Horne lebte. Von hier ließ er sich frisches Gemüse und Obst aus dem eigenen Garten per Bahn bis in weit entfernte Orte Kanadas transportieren. Minister's Island ist einer der Orte, an dem man den Gezeitenunterschied der Bay of Fundy besonders gut beobachten kann, ist die Insel doch nur zu Zeiten der Ebbe für Autos erreichbar. Dann fahren Besucher auf einem natürlichen Damm, der nur bei Niedrigwasser zugänglich ist, hinüber auf die Insel. Kommt die Flut, kehrt wieder Ruhe ein auf der kleinen Insel in der Passamaquoddy Bay.

Anders ist dies bei Grand Manan Island, denn dorthin gelangt man nur per Fähre. Eine Straße führt durch die gesamte Insel. Die Westseite fällt in steilen Klippen ab ins Meer und ist mit Ausnahme einer Stelle ausschließlich zu Fuß zu erkunden. Hier sammeln die Inselbewohner Algen und lassen sie an der Sonne trocknen. Unter dem Namen „Dulse“ wird das getrocknete Inselprodukt auf den Märkten New Brunswicks verkauft und als beliebte Zutat für Salate verwendet.

In den Inseldörfern steht die Zeit still: Jeder kennt jeden, und man erfährt als Besucher schnell, was der Nachbar, der Bäcker oder der neu zugezogene Aussteiger im Ort in letzter Zeit gemacht hat. Wer ein wenig in der Fischer-Vergangenheit der Insel stöbern will, tut dies am besten in Seal Cove, wo die Hummerbojen an grauen Schuppenwänden hängen und zahllose Fotomotive liefern.

Am besten sieht man den Tidenhub übrigens an den Hopewell Rocks. Dabei handelt es sich um kleine Inseln, die vor der Küste zwischen Moncton und dem Fundy National Park liegen. Bei Ebbe wird der Meeresboden freigelegt, und Besucher können über Treppen hinuntersteigen und zwischen den Blumentopf-Felsen herumlaufen. Eindrucksvoller als an diesem Ort lassen sich die Gezeiten an der Bay of Fundy kaum erleben.    
Monika Fuchs
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