USA

Dem Eis auf der Spur

Per Wasserflugzeug sind die entlegendsten Gletscherseen zu erreichen.

In und um Anchorage beeindruckt Alaska mit Gletschern, Tieren und unberührter Natur

In den fischreichen Flüssen machen die Weißkopfseeadler reiche Beute. Fotos: sps

Kaum sind die Augen auf, fliegt mein Blick vom Bett aus zum Fenster: Ist der Mount McKinley heute zu sehen oder versteckt sich der Großteil des mit knapp 6.200 Metern höchsten Bergs Nordamerikas wieder in den Wolken? Ja, schade. Eigentlich stand eine Flugsafari von Anchorage um den Bergriesen auf dem Plan. Doch im nördlichsten US-Bundesstaat bestimmt das Wetter häufig den aktuellen Tagesplan. Schließlich ist die Natur hier Hauptdarsteller und größte Attraktion zugleich. Auch für heute gibt es daher genug Alternativen.

Wildnis und Stadterleben geben sich in Anchorage die Hand. Zwar ist Juneau die Hauptstadt Alaskas, doch das urbane Zentrum ist Anchorage. Rund 290.000 Einwohner und damit etwa 40 Prozent der Gesamtbevölkerung von Alaska leben hier, umgeben von den Gebirgsketten der Alaska Range, Chugach-, Talkeetna-, Tordrillo-, Kenai- und Aleutian-Mountains.

Im Juli 2015 feiert die Metropole ihren hundertsten Geburtstag. Das Museum in Anchorage dokumentiert neben der Entwicklung der Stadt auch die Kunst und Kulturen des Landes. „Unsere typische Kultur? Das ist schwer zu beantworten“, sagt Guide Jack. Zu den fünf Volksgruppen Alaskas gehören elf verschiedene Ethnien. Und jede von ihnen hat ihre eigene Sprache und lebt unter unterschiedlichen Bedingungen. So wie die Thingit nahe der kanadischen Grenze oder die Yupik, die an der Bering-See zu Hause sind.

Die Natur pur beginnt gleich am östlichen Stadtrand von Anchorage mit dem Chugach State Park, vom Westen begrenzt das Meer die Stadt. Wandern, Bergsteigen, Kajaktouren, Rafting oder Skilaufen am Mount Alyeska – es gibt kaum etwas, was Aktivurlauber bei einem Tagesausflug nicht erleben können. Flightseeing gehört neben Angeln, Elche und mit etwas Glück auch Bären beobachten zu den beliebtesten Aktivitäten.

Auf Lake Hood, dem verkehrsreichsten Wasserflughafen der Welt – bis zu 400 Flugzeuge starten und landen hier pro Tag – beschleunigt Pilot Mark die rote Propellermaschine: Statt zum Mount McKinley starten wir nun zu einem Rundflug über die Gletscherwelt. Alaska verzeichnet mit etwa 100.000 Gletschern die höchste Dichte der Eisgiganten auf dem amerikanischen Kontinent. Etwa 50 liegen rund um Anchorage.

Gekonnt steuert Mark das Wasserflugzeug über schneeweiße Bergrücken, breite Moränen und durch vereiste Schluchten. Atemberaubend, wie die zerklüftete Eislandschaft je nach Licht mal weiß und mal bläulich schimmert. In einem türkisgrünen Gletschersee schwimmen Eisberge in den unterschiedlichsten Formationen. Kaum wahrnehmbar setzen schließlich die Skier der Maschine wieder auf der flüssigen Landepiste von Lake Hood auf.

Nur knapp eine Stunde von Anchorage entfernt, trifft man im Alaska Wildlife Conservation Center (AWCC) neben Braun- und Schwarzbären auch auf Elche, ein Stachelschwein, Luchse und Karibus. Vor allem aber lebt hier die einzige Herde der Wood-Bisons in den USA. Gemächlich wendet ein Bulle seinen Kopf mit der dunkelbraunen Zottelmähne in unsere Richtung. Die übrige Herde grast unbeeindruckt weiter auf den endlos scheinenden grünen Weiden. „Im vergangenen Jahr wurden bei uns zehn Bisonkälber geboren“, freut sich Tom vom Center über den Erfolg dabei, diese Tiere wieder anzusiedeln.

Weiter geht die Fahrt nach Seward. In dem Städtchen am Golf von Alaska wurde die Staatsflagge entworfen. Unser Ziel ist erneut das ewige Eis, diesmal im Kenai-Nationalpark. Auf zwei Kufen steuert der Katamaran durch die Resurrection Bay. Neben der grandiosen Landschaft hoffen wir auf Seelöwen, Seehunde und Papageientaucher. Mit etwas Glück werden uns sogar noch Wale begegnen.

„Gestern wurde ein Buckelwal gesichtet. Einige sind also noch da“, erzählt Guide Jack aufgeregt. Die meisten der Riesensäuger sind allerdings schon wieder unterwegs in die wärmeren Gewässer vor Hawaii oder Mexiko, wo sie überwintern. Ein Seeotterpärchen tollt im Wasser herum. „Ihre Felle sind so begehrt, dass sie fast ausgerottet sind“, bedauert Jack. Auf Felsbrocken aalt sich eine Großfamilie Seelöwen in der Sonne, nur wenige blinzeln mal kurz zu uns rüber.

Plötzlich steigt rechts vom Schiff eine Fontäne wie von einem Springbrunnen in die Luft. Sofort drosselt der Kapitän die Fahrt. Schon wölbt sich ein mächtiger nassglänzender Rücken kurz über die Wasseroberfläche empor. Dann ragt eine Rückenflosse in die Luft, die schließlich im Wasser versinkt. Langsam zählt Kapitän Bill bis zehn, dann setzt sich das Schiff wieder in Bewegung. „Wenn der Wal mit der Rückenflosse winkt, heißt das: goodbye“, erklärt der erfahrene Seebär. Dann tauche der graue Riese zum Fressen in größere Tiefen ab, bis zum nächsten Auftauchen vergehe meist etliche Zeit.

Das Klickklickklick zahlreicher Kameras durchbricht die Stille, als wir durch Eisschollen hindurch näher an die turmhohen Eiswände des Bear-Gletschers heranfahren. Plötzlich löst sich ein riesiger Eisbrocken und klatscht mit Getöse ins Meer. Welche atemberaubende Urgewalt! Die Wellen des Aufpralls spüren wir bis aufs Schiff.



Simone Spohr

In Anchorage ins Museum
2010 wurde das Anchorage Museum um den vierstöckigen Westflügel erweitert. Mitten in der Innenstadt kann man hier ebenso Kunst- und Wissenschaftsausstellungen wie Ausstellungen zu Alaskas Geschichte, den verschiedenen Ethnien und zur Besteigung des Mount McKinley bestaunen. Im Imaginarium Discovery Center in der 1. Etage können Besucher Experimente selbst ausprobieren. Für die 100-Jahr-Feier der Stadt 2015 ist ein besonders umfangreiches Programm in Planung. Weitere Informationen unter www.anchoragemuseum.org und unter www.anchorage.net.

 

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