Kanada

Achterbahn zum Shopping

Die West Edmonton Mall ist Nordamerikas größtes Einkaufszentrum

Von zwölf Uhr mittags bis acht Uhr abends hallen Schreie im Vier-Minuten-Takt durch den Nordflügel – unterlegt mit dumpfem Donnergrollen: kein technischer Trick, sondern die Mischung aus hinausgebrüllter Angst und entfesselter Begeisterung und Beleg dafür, dass die „Mindbender“-Achterbahn im komplett überdachten „Galaxyland“-Freizeitpark in Betrieb ist.

Wagemutige werden erst bis auf die Höhe von 14 Stockwerken geschleppt, um dann durch drei Loopings in die Tiefe zu rauschen. Einkaufstüten müssen zuvor an der Kasse geparkt werden – der Sicherheit wegen.

Ohne Weltrekord geht es nicht: Die Achterbahn ist der größte Indoor-Rollercoaster der Welt. Natürlich. Und der Freizeitpark misst über 37.000 Quadratmeter – eine Halle mit nackten grauen Wänden, groß wie ein Flugzeughangar und vollgestellt mit allem, was Jahrmarkt-Fantasien hergeben.

Den Romantik-Kontrapunkt setzt die in freier Interpretation nachgebaute Bourbon Street aus New Orleans, wo sich hinter edlen Fassaden noch edlere Designer-Boutiquen aneinanderreihen und kein Achterbahn-Schrei herüberdringt, wenn der Magnetstreifen der Kreditkarte irgendwo zwischen Rolex und Calvin Klein, zwischen Escada und Ralph Lauren heißläuft.

23 Jahre lang, von 1981 bis 2004, war die West Edmonton Mall in der Provinzhauptstadt Albertas das größte Einkaufszentrum der Welt. Heute belegt sie mit ihren alles in allem 492.000 Quadratmetern, mit 800 Geschäften, 110 Restaurants, fast 30 Kinos, dem Indoor-Freizeitpark und über 20.000 Parkplätzen Rang zehn in der Welt – und nach wie vor Platz eins in Nordamerika.

Eine Investorengruppe war es, die seinerzeit Wagemut besessen und über die Jahre mehr als eine Milliarde Euro in die Prärie gesetzt hat. Ausgehend von der Kreuzung zwischen 87. Avenue und 170. Street in West Edmonton ließ sie einen 48 City-Blocks umfassenden Gebäudekomplex erschaffen, der es zur größten Touristenattraktion von Edmonton brachte. Heute schweben sogar Ein- und Zwei-Tages-Besucher per Charter-Jet aus den kanadischen Metropolen und US-Großstädten ein. Über 40 Cents jedes in Edmonton ausgegebenen Touristen-Dollars landen in den Kassen der Mall.

Geöffnet ist das Wahnsinnskaufhaus ausnahmslos jeden Tag des Jahres – an Weihnachten und Neujahr lediglich ein paar Stunden kürzer als sonst. Und wer zwischendrin das Geldausgeben leid ist, erholt sich nebenbei: zum Beispiel bei einer Runde Schlittschuhlaufen auf dem Indoor-Eisring, der den Abmessungsvorgaben für Wettkämpfe der kanadischen National Hockey League entspricht. Oder er stemmt sich gegen die Brecher im größten überdachten Wellenbad mit über einem Dutzend Wasserrutschen.

Wer hingegen schon immer davon geträumt hat, irgendwann in einem Kaufhaus den Bund fürs Leben zu schließen, der kann sogar in der Mall-eigenen Kapelle heiraten.

Die West Edmonton Mall im Internet: www.wem.ca.
Helge Sobik
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