Argentinien

Der Berg pfeift

Argentinischer Wollspender ...

Durch die Weltnaturerbe-Region Quebrada de Humahuaca

... in der Weltnaturerbe-Region Humahuaca im Norden Argentiniens. Fotos: FVA Argentinien, mc

"No, no!" Thiago geht es nicht nur um ein gutes Geschäft, wie er versichert. Er will uns Schals und Ponchos verkaufen, weil er es gut mit uns meint: "Das ist für eure Gesundheit."Am nächsten Morgen steht eine Wanderung um den Cerro de los Siete Colores an - den Berg der sieben Farben. Der erstaunlich bunte Hügel ist eines der Hauptziele in der Quebrada de Humahuaca, ganz im Norden von Argentinien. Und einer der Hauptgründe, weshalb die Schlucht in der Provinz Jujuy als Teil des "Inka-Pfads" seit ein paar Jahren Unesco-Weltnaturerbe ist.

Seitdem hat der Tourismus im Tal deutlich zugenommen. Besucher reisen hauptsächlich über die Provinzhauptstädte San Salvador de Jujuy und Salta an. Sie besitzen eigene Flughäfen. Vor Ort gibt es einige Outdoor-Agenturen, die Ausflüge in die Quebrada anbieten. Wir haben uns aber für die Unabhängigkeit und für einen Mietwagen entschieden. Die Hauptrouten gen Norden sind gut ausgebaut, und daher auch für motorisierte Gauchos problemlos zu erkunden.

Das mit den Gauchos ist freilich ein Klischee. Denn weite Teile des Nordens werden von indigenen Völkern beziehungsweise deren Nachfahren bewohnt. In der Quebrada de Humahuaca leben knapp 70 Prozent Mestizen. In vorchristlicher Zeit siedelten dort die Omaguaca-Indianer. Auf einem Hügel nahe der Ortschaft Tilcara wurde eine Festung der Omaguaca rekonstruiert. Sie bietet neben Einblicke in den Alltag des Volks auch herrliche Ausblicke - auf die farbenreichen Erhebungen der Anden-Ausläufer.

Apropos Farben: Nicht nur die Berge im Norden Argentiniens sind farbenfroh, sondern auch die Souvenirs. Musikinstrumente wie Trommeln und Rasseln sind bunt bemalt. Und erst die Wolle! Ob vom Schaf oder vom Lama, vom Guanako oder vom Alpaka, ihre Wolle gibt es in allen Tönen. Decken, Taschen, Hemden und Hüte, mit indianischen Symbolen verziert, setzen Farbtupfer in den mitunter etwas grau und staubig wirkenden Dörfern.

Die andentypischen Ponchos und Schals dürfen in der Aufzählung natürlich nicht fehlen. Etwa die Ware von Thiago. Wir erhören seine Appelle und decken uns mit Schals ein. Außerdem mit einer Rassel aus einem merkwürdig gefaserten, hellen Holz: "Das ist Kaktus", sagt Thiago. Die Verwendung von Kakteen als Baumaterial hat Tradition in der Quebrada.

Die Rede ist nicht von mickrigen Exemplaren vom Fensterbrett, sondern von beeindruckenden, bis zu fünf Meter hohen Cardon-Kakteen. Sie wurden sogar Jahrhunderte lang als Dachbalken verwendet. Etwa für die schneeweißen Kirchen aus der Kolonialzeit, die in jedem Dorf entlang der Quebrada de Humahuaca stehen. Mittlerweile ist die Verwendung des Kakteenholzes stark eingeschränkt, um die Art zu schützen.

Uns sind die Cardones im lebenden Zustand auch lieber. Das erste meterhohe Prachtexemplar entdecken wir an einer Mauer, als wir uns am Morgen von Purmamarca aus in Richtung Berg der sieben Farben aufmachen. Der Kaktus trotzt dort seit Jahrzehnten der brennenden Sonne und dem stürmischen Wind. Thiago hatte Recht: Ohne Schal sollte man selbst im Sommer nicht unterwegs sein. Die Lamawolle schützt unsere Hälse vor Kälte und Staub.

Auf einem uralten Trampelpfad geht es um den Hügel. Es stürmt und weht, fast scheint der Berg zu pfeifen. Seine Spitzen liegen im dichten Nebel. Doch die aufgehende Sonne erzeugt ein faszinierendes Spektakel. Die Gesteinsschichten erstrahlen in leuchtenden Farben von Orangerot über Moosgrün bis zu Violett und Zitronengelb. Allein für diesen Anblick hat sich die weite Anreise gelohnt. Und die Ernennung der Quebrada zum Weltnaturerbe.
Martin Cyris
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