Brasilien

Mit der Seilbahn ins Armutsviertel

Häuser, soweit das Auge schaut: die Favela Complexo Alemao in Rio de Janeiro. Fotos: mw, Bruno Itan/FCA

Rio de Janeiro wandelt Favelas zu Touristenattraktionen

Das Tor zu einem großen Slum stellt man sich anders vor. Die Basisstation einer Seilbahn in Rio de Janeiro ist sauber und funktioniert so reibungslos wie die Gondelstation am Zuckerhut. Über 150 rote Kabinen befördern seit Sommer 2011 täglich Tausende von Fahrgästen über sechs Stationen zu den Siedlungen des Complexo Alemao, zu einem der mit rund 60.000 Einwohnern größten Armutsvierteln der Stadt, das sich - wie alle Favelas in Rio - über einen Berg erstreckt.

In Rio gibt es etwa 600 solcher Viertel mit insgesamt etwa 1,4 Millionen Menschen - das sind etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung der Metropole. Wegen der großen Sportereignisse steht Rio in den nächsten Jahren im Zentrum der Weltaufmerksamkeit. Und die Stadtverwaltung hat daran die große Chance zu einem Imagewandel erkannt. Denn wegen der hohen Kriminalität und Korruption galt die berühmte brasilianische Metropole schon längst als verloren.

Die Kriminalität grassiert in den Armutsvierteln, wo Drogenbosse regieren. Es sind rechtsfreie Räume, in denen keine Polizeistationen existieren. Seit 2010 wandelt sich die Situation: Sicherheitskräfte rücken in zentral gelegene Favelas ein, vertreiben die Banden und bleiben vor Ort.

Bisher seien 120 Favelas mit insgesamt 400.000 Einwohnern befriedet worden, sagt Rios Tourismus-Chef Paulo Senise. "Langfristig soll Recht und Ordnung in allen Favelas wieder hergestellt werden." Der Drogenhandel werde dadurch zwar nicht beseitigt, aber die Sicherheit merklich erhöht, ergänzt Senise.

Daher begrüßt es die Stadtverwaltung, wenn ausländische Gäste sich auch in einem Armutsviertel umschauen, allerdings nur in Begleitung eines Fremdenführers. "Die Nachfrage wächst", sagt der Manager.Der Complexo Alemao mag eine Vorzeige-Favela sein. Aber ein Besuch dieses Viertels räumt mit Vorurteilen auf. Die Bewohner legen sehr viel Wert auf eine gepflegte äußere Erscheinung, Straßen und enge Gassen sind sauber. Statt schwer bewaffneten Jugendlichen patrouilliert hier die Polizei.

Die Menschen begrüßen ausländische Besucher freundlich. Inzwischen haben sogar Pensionen in Favelas eröffnet. Die Befürchtung, ein Voyeur des Elends und unwillkommen zu sein, ist unbegründet - zumindest im Complexo Alemao.



Michael Winckler

Favela intern
Favela-Führungen im Complexo Alemao bietet Arnaldo Bichucher an, der unter der E-Mail abichucher(at)hotmail.com zu erreichen ist. Führungen in der Favela Santa Marta können gebucht werden unter thiagofirmino(at)yahoo.com.br. Das Pura Vida Hostel bietet Übernachtungsmöglichkeiten nahe der Favela Morro do Cantagalo unweit von Copacabana und Ipanema. Infos: www.puravidahostel.com.br.

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