Reisevertrieb

Reisebüro-Demos: Starker Auftritt in vielen Städten

Auch am Airport in Hamburg wurde demonstriert. Foto: Christian-M. v. Schröder/CVS Foto Hamburg

Auch am Airport in Hamburg wurde demonstriert. Foto: Christian-M. v. Schröder/CVS Foto Hamburg

Kämpferisch haben sich insgesamt rund 1.000 Reisebüro-Mitarbeiter bei Demonstrationen in mehr als 40 deutschen Städten gezeigt. Mit zahlreichen Aktionen haben sie eindrücklich auf ihr Anliegen aufmerksam gemacht: Wenn nichts passiert, bricht die Reisebranche in Deutschland zusammen und steht vor dem Aus.

„Das scheint noch nicht bei jedem angekommen zu sein. Unsere Branche trifft es am Härtesten. In dieser Woche hat die Kanzlerin Lockerungen für fast alle Bereiche ermöglicht. Doch uns bleibt weiterhin jegliche Betätigung untersagt. Deswegen sagen wir hier und heute und ganz laut und deutlich: Lasst die Reisebranche nicht an Corona sterben“, heißt es beispielsweise in der Rede, die in Freiburg gehalten wurde.

Zum dritten Mal in Folge haben die Vollblut-Touristiker ein Zeichen gesetzt. Nach einer ersten großen Demo Ende April folgte eine etwas kleinere, bevor am heutigen Mittwoch alle Register gezogen wurden. Am Brandenburger Tor in Berlin demonstrierten rund 50 Reisebüro-Mitarbeiter. Zu ihnen stießen Kollegen, die bundesweit mit Autos anreisten und sich mit Busveranstaltern zu einem riesigen Korso zusammengeschlossen hatten.

Freudentränen angesicht so viel Solidarität

„Das war der Wahnsinn und so emotional“, sagt Ivonne Sachert von Günstiger Reisen, die einige Tränen vergossen hat. „Das waren Freudentränen. Wir haben heute auch hier gemerkt, wie groß der Zusammenhalt und die Solidarität sind“, sagt sie. Mehrere Politiker, unter anderem die tourismuspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen von FDP (Marcel Klinge) und Grünen (Markus Tressel), hätten mit ihnen vor Ort diskutiert. „Sie haben für uns gesprochen und Unterstützung signalisiert.“

Den Zusammenhalt hat auch Robert Hippmann, Verkaufsleiter der H10-Hotels, vor Ort in Berlin erlebt: „Diese Solidarität unter den Reisebüro und dass sie sich zusammenschließen, hat mir sehr gut gefallen, denn sie sind ja eigentlich Mitbewerber. Hätte es kein Versammlungsverbot gegeben, wären bestimmt mehrere hundert Büros in Berlin dabei gewesen. Extrem schade ist, dass Touristikpartner wie Fremdenverkehrsämter und Hotels nicht mit demonstrieren. Wir Hotels brauchen die Reisebüros ja auch“, sagt er.

In Wiesbaden und Potsdam suchten Politiker ebenfalls das Gespräch mit den Demonstranten. In der hessischen Landeshauptstadt diskutierte unter anderem Wirtschaftsminister Tarek Al Wazir (Grüne) mit den Teilnehmern, in Potsdam war es unter anderem CDU-Landtagsabgeordnete Kirsty Augustin, in Gießen schaute Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz (SPD) vorbei, in Hannover der niedersächsische Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (SPD).

Die Veranstaltungen waren gut besucht. In Frankfurt beispielsweise demonstrierten 50 Touristiker auf dem Römerberg. Darunter waren auch die Reisebüro-Inhaber Tamer und Gabriele Güney. Sie sind seit 1980 in der Touristik und betreiben das Reisebüro Eden Tours im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen. „Wir bekommen eine wahnsinnige Unterstützung von unseren Kunden. Manche wollen uns sogar die Provision bar auszahlen. Das rührt uns zu Tränen“, berichtet Gabriele Güney.

Zuspruch für QTA-Vorstoß

Aber die finanzielle Lage sei hart, meint Tamer Güney. Beide schimpfen über das Verhalten vieler Veranstalter. Sie berichten von bis zu 40 Prozent Stornogebühren. Gabriele Güney ist froh über den Vorstoß von Thomas Bösl, dem Sprecher der Reisebüro-Allianz QTA. Er hatte kürzlich bekanntgegeben, dass seine Allianz an neuen Provisionsmodellen mit den Veranstaltern arbeite. Mehr dazu finden Sie hier. „Das ist der richtige Weg“, meint Gabriele Güney.

Auch Karin Endler vom Reisebüro Die Reisegalerie in Frankfurt zählte zu den Demonstranten in Frankfurt. Sie fordert eine Perspektive für die Branche: „Seit Mitte März haben wir keine Einnahmen mehr. Trotzdem laufen die Kosten weiter.“ Sie fordert von der Politik einen Fahrplan und weitere finanzielle Hilfen, die mindestens ein halbes Jahr, wenn nicht sogar ein Jahr lang, nötig seien. Nur so könnten unzählige Pleiten in der Touristik verhindert werden. Endler schätzt, dass rund 2.000 Reisebüros die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise nicht überleben werden.

Reisebüro-Inhaber Steffen Korb von Top Travel in Seligenstadt verlangt mehr Unterstützung von der Politik. „Es kann nicht sein, dass immer nur die Großen unterstützt werden. Nun sind Hilfen für die nötig, die die Großen verkaufen“, sagt er und hält ein Protestschild mit der Aufschrift „Auch Reisebüros wollen Corona überleben“ in die Höhe. Korb ist mit seinem kompletten Team nach Frankfurt gereist. Die aktuelle wirtschaftliche Lage für sein Büro ist katastrophal: „Es kommen keine Buchungen rein. Das wird auch in den nächsten Monaten so bleiben. Und dann müssen wir noch die Provisionen für die vergangenen Monate zurückzahlen. Im Grunde ist das ganze Jahr für den A****.“

In Saarbrücken war unter anderem Reiseverkäufer Sven Schreiner demonstrieren. „Erst haben wir auf dem Demo-Platz gestanden, jedoch gab es kaum mediales und politisches Interesse. Was am 29. April wunderbar funktionierte, klappte dieses Mal leider nicht." Um sich politisches Gehör zu verschaffen, zog der Demo-Trupp zur Kongresshalle Saarbrücken, wo eine Landtagssitzung stattfand. „Die Politiker waren redebereit und haben unsere Problematik verstanden und passende Hilfen signalisiert", sagt Schreiner gegenüber touristik aktuell.

Schnelle Hilfe gefordert

Auch in Mainz machten zahlreiche Reiseprofis ihrem Unmut Luft und kündigten weitere Proteste an. Robert Liersch vom Reisebüro M’Ocean in Dolgesheim erklärte beispielsweise: „Wir brauchen Aufmerksamkeit und werden deshalb alle zwei Wochen hier stehen. Die Politik muss endlich begreifen, dass hier eine ganze Branche am Abgrund steht. Wir brauchen Hilfe, und zwar schnell“, fordert er.

Für Angela Geneix vom Reisecenter Bad Sobernheim ist es bereits später als 5 vor 12. „Unser Reisebüro-Inhaber ist letztes Jahr gestorben, danach hat sein Bruder die Geschäfte übernommen. Der musste sich aber auch erst mal einarbeiten. Dann kam die Cook-Pleite, jetzt Corona. Die Hilfen, die wir bisher bekommen haben, reichen gerade mal für einen Monat“, sagt sie.

Und ihre Kollegin Jessica Conrad fügt hinzu: „Wir wollen endlich von der Regierung wahrgenommen werden. Ich habe noch immer das Gefühl, dass man die Reisebüros völlig vergessen hat. Und leider sagen auch viele Leute, dass man Reisebüros ja gar nicht unbedingt braucht und alles online buchen kann. Da verweise ich dann gerne auf die vielen Kunden, die wegen Corona irgendwo im Ausland festgesessen haben und deren Rückreise wir mit sehr viel Engagement und ohne extra Bezahlung organisiert haben. Da spielen sich zum Teil ja wirkliche Dramen ab. Viel Spaß, wenn man das über einen Online-Anbieter versuchen möchte.“

Bareiß zeigt Verständnis

Die Proteste werden weitergehen. Der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung Thomas Bareiß twitterte heute: „Viele besorgte Reisebüros sind in Berlin und bringen ihren Ärger zum Ausdruck. Ich kann die Sorgen, Enttäuschung und Wut gut verstehen, Ich bin auch unzufrieden, würde gerne mehr Lösungen bieten. Aber wir stehen vor riesigen Herausforderungen und arbeiten hart an Lösungen.“

Fotos von den Reisebüro-Demos  finden Sie hier auf unserer Facebook-Seite.

Ute Fiedler, Susanne Layh, Sylvia Raschke und Arne Hübner