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Corona-Krise: Tagebuch eines Reiseveranstalters

Da war die Welt noch in Ordnung: Beate Zwermann mit Seelöwen am Strand. Foto: Galapagos Pro

Da war die Welt noch in Ordnung: Beate Zwermann mit Seelöwen am Strand. Foto: Galapagos Pro

Die Coronavirus-Pandemie zwingt momentan die ganze Tourismusbranche in die Knie und ist insbesondere auch für kleine Reiseveranstalter und Reisebüros existenzbedrohend. Die ersten Insolvenzen mussten wir leider schon vermelden. Wie hart die Krise Spezialisten – auch ganz persönlich – trifft, schildert Beate Zwermann, Gründerin und Chefin des Frankfurter Veranstalters Galapagos Pro, in einem eindrücklichen Bericht. Zum Thema Corona-Krise und deren Folgen hat Zwermann auch eine Online-Petition angeschoben (siehe hier).

Vorwort
Dieses Tagebuch ist inspiriert durch einen Beitrag im Hörfunksender HR-Info. Die Journalistin war angetreten, eine Sendung über Unternehmensinsolvenzen zu machen, und wunderte sich, dass sich kein Unternehmer öffentlich äußern wollte, wo doch so viele nun davon bedroht seien. Ja, warum wohl? Eine solche Aussage kann nur jemand treffen, der Unternehmertum nicht kennt. Beim Zuhören wurde mir bewusst, dass wir Unternehmer in dieser Krise wirklich kaum zu Wort kommen. Dabei zahlen wir einen Großteil der Zeche. Unsere Existenzen sind bedroht, wenn nicht schon zerstört. Was uns durch den Kopf geht? Hier ein Einblick. 

Fangen wir positiv an: 
Der 14. Februar 2019 war der erfolgreichste Tag in unserer knapp fünfjährigen Galapagos PRO-Firmengeschichte als Nischenreiseveranstalter für das meistgehütete Weltnaturerbe, die Galapagos-Inseln vor der Küste Ecuadors. Am Valentinstag 2019 haben wir Bundespräsident Frank Walter Steinmeier mit seiner Frau Elke Büdenbender und eine sie begleitende 90-köpfige Delegation – darunter mehr als 20 Journalisten aus allen großen deutschen Medienhäusern – über die Galapagos-Inseln geführt. Am Strand der Charles-Darwin-Station auf der Insel Santa Cruz kündigte Steinmeier damals dem Plastikmüll weltweit den Kampf an.

Wir, das ist ein kleines Team von Experten für dieses Reiseziel. Kaum jemand außerhalb Ecuadors kennt die Galapagos-Inseln so gut wie wir. Wir haben es uns zu Aufgabe gemacht, den Tourismus – von dem der Erhalt der Inseln zu 90 Prozent abhängt – zu fördern. Das ist eine erfolgreiche Unternehmung.

Exakt 13 Monate später, am 14. März 2020, gingen weltweit die Grenzen zu, wurde auch Galapagos hermetisch abgeriegelt. Nur drei Tage zuvor – am 11. März 2020, meinem 55. Geburtstag – erklärte die Weltgesundheitsorganisation WHO die Covid-19-Krise zur weltweiten Pandemie. Wiederum drei Tage davor – am 8. März 2020 – stellten wir eine Petition zu Covid-19 ins Netz. Wir hatten es befürchtet.

Warum der Shutdown Reiseveranstalter auf besondere Weise trifft
Von einer Minute zur anderen änderte sich unser Geschäftsleben radikal. Anstatt Reisen zu planen und durchzuführen, setzten wir sie aus. Die Pandemie hat uns unsere Geschäftsgrundlage entzogen. Reisen ist nicht mehr möglich.

Plötzlich stand die Rückholung von Kunden, die noch auf den Inseln und in Ecuador waren, auf der Tagesordnung. Am 22. März waren alle wieder wohlbehalten in Deutschland. Die Mehrkosten bezahlen wir. Dazu sind wir gesetzlich verpflichtet.

Bereits in der Nacht vom 13. auf den 14. März wurde mir klar, welche Folgen der Shutdown für meine Unternehmung bedeutete: Wir waren in unserer Existenz bedroht. Das Pauschalreiserecht verpflichtet Reiseveranstalter, ihren Kunden die Gelder zu erstatten, wenn die Reise nicht durchgeführt werden kann. Allerdings kennt das Pauschalreiserecht keine Pandemie.

Außerdem sind wir in einem sehr kleinen Markt unterwegs. Um eine Galapagos-Reise zu garantieren, verlangen die lokalen Anbieter Vorkasse. Alle Reisen unserer Kunden bis weit in den April hinein waren bereits vor Ort komplett bezahlt. Heißt, das Geld war bei den lokalen Anbietern und nicht mehr auf unseren Konten. Rückerstattung bei Nichtantritt sehen die Stornierungsregeln der Anbieter nicht vor. Auch nicht für einen Pandemiefall.

Erste Gespräche ergaben, dass sich die Anbieter auf eine Gutscheinlösung einlassen würden. Damit war das Geld nicht weg, aber auch nicht erstattbar. Hinzu kommt, dass die Fluggesellschaften auch nur noch Gutscheine anbieten. Was sollten wir den Kunden sagen?

Wir entschlossen uns, mit jedem Kunden persönlich zu sprechen und die Lage darzulegen. Letztlich gibt es zwei Szenarien: 

  1. Die Kunden bestehen auf Rückzahlung, das wäre bis Ende April ein mittlerer sechsstelliger Betrag – dann geht unser Unternehmen in die Insolvenz. Die kostet mich als Alleingesellschafterin bis zu 350.000 Euro, die durch eine Bürgschaft gegenüber dem Insolvenzversicherer entstehen (der den Kunden die Gelder erstatten muss) und durch weitere kleinere Verbindlichkeiten gegenüber der Hausbank. Damit wäre meine Eigentumswohnung weg, die Lebensversicherung gefährdet. Bliebe eine staatliche Rente von 730 Euro im Monat. Dass die Kunden tatsächlich vom Insolvenzversicherer ihr Geld bekommen, ist allerdings in dieser Krise mehr als unsicher, denn es trifft viele Reiseveranstalter und die Erstattungssumme ist gedeckelt.
  2. Die Alternative ist eine Umbuchung ins nächste oder übernächste Jahr. Die Gelder sind ja noch da, nur nicht bei uns. Klar ist dafür die Voraussetzung, dass es uns als Reiseveranstalter dann noch gibt. Mit dieser Guthaben-Umbuchungslösung stehen die Chancen gut.

Seit den 16. März habe ich viele Tage in Telefongesprächen mit Kunden verbracht. Die meisten haben uns ihr Vertrauen ausgesprochen und buchen um. Drei verfolgen mich mit Anwälten, die wöchentlich drohen. Zwei davon wollten nicht mal mit mir sprechen. Auch ich habe mir anwaltliche Unterstützung geholt. Wir bewegen uns quasi im rechtsfreien Raum. Die Bundesregierung befürwortet offiziell seit dem 2. April eine verbindliche Gutscheinlösung, hat das aber an die EU-Kommission zur grundsätzlichen Entscheidung abgegeben. Diese steht zwei Wochen später immer noch aus.

Unsere Nachbarländer sind da entschlussfreudiger: Ob Frankreich, die Niederlande, Großbritannien oder Belgien – überall wurde das Pauschalreiserecht ausgesetzt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schoss an Ostern den Vogel ab, indem sie die Gutscheinlösung freiwillig machen will und die Menschen vor dem Buchen des Sommerurlaubs warnt.

Ganz ehrlich, wenn ich Lufthansa-Chef Carsten Spohr wäre oder der Chef jedweder anderen europäischen Airline – ich würde Frau von der Leyen lebenslänglich nicht mehr an Bord lassen. Sie soll laufen statt fliegen. Allein dieses Beispiel zeigt, wie wenig den Politikern bewusst ist, was sie anrichten.

Behörden, Politiker, Banken
Am 16. März habe ich Kurzarbeit angemeldet. Sie wurde binnen fünf Tagen genehmigt. Am 27. März habe ich Gehälter ausgezahlt. Die Kompensation vom Arbeitsamt für März ist auch am 15. April noch nicht auf meinem Konto. Zwischenzeitlich haben sich die Antragsformulare geändert und man muss das per Post schicken. Ich selbst habe mir kein Gehalt bezahlt. Als ich das beschloss, habe ich mich gefragt, warum ich das machen muss und die Herren Minister Altmaier, Spahn und Scholz oder Kanzlerin Merkel nicht?

Apropos Altmaier: Am 25. März hatte ich ein aufschlussreiches Gespräch mit meiner Hausbank. Klar könne ich einen KFW-Kredit bekommen, es sei ja viel Platz auf der Grundschuld, die die Bank noch auf meiner Wohnung hält. Die 70-Quadratmeter-Wohnung in Frankfurt ist fast abbezahlt. Auch wisse man, dass meine Unternehmungen gut laufen. Bis zu 300.000 Euro könnte ich beantragen.

Allerdings macht der Berater deutlich, dass die Rückzahlungskonditionen strikt sind, und schickt eine Beispielrechnung. Der Staat bürge bei Kreditausfall zwar der Bank gegenüber, hole sich das Geld aber bei mir als Gesellschafterin zurück, wenn ich die Rückzahlung nicht schaffe. Heißt im Klartext: Ich verschulde mich, damit ich durch die Corona-Krise komme, muss das Geld zurückzahlen und wenn’s nicht klappt, gehe ich in Privatinsolvenz.

Was für eine unglaubliche Augenwischerei sind in Anbetracht dessen die Aussagen von Herrn Altmaier: Den Unternehmen werde geholfen, der Staat rette sie, alle bekämen Geld! In Wahrheit sollen die Unternehmer Schulden machen und die Zeche zahlen, die die Pandemie angerichtet hat. Es fließt kein Geld, es wird lediglich gebürgt und die Rückzahlung auf den Unternehmer abgewälzt. Auf welcher rechtlichen Grundlage eigentlich?

Schließlich teilt mir meine Hausbank mit, dass sie bereit sei, mir auch einen normalen Kredit zu geben, der dann auf zehn Jahre läuft und Sondertilgungen vorsieht. Das ist etwas teurer, aber weniger belastend und sehr viel flexibler. Ich nehme erstmal Abstand von der Idee. Noch brauche ich keinen Kredit.

Die elende Panikmache
Das allerschlimmste in dieser Krise ist die Ungewissheit und die Bilder, die die Medien um die Welt schicken. Wer kann da noch schlafen? Ohnmächtig sehen wir zu, wie Tag für Tag Panikgeschichten ausgestrahlt werden, bis wir vollkommen verstrahlt sind. Die Welt ist verrückt.

Am Ostersamstag berichtet die Tagesschau über die Zustände in Guayaquil – meinem Ecuador. In der Stadt leben 3,1 Mio. Menschen. Die Ausgangssperre hatte bei den Bestattungsunternehmen zur Verunsicherung geführt, so dass auch sie den Betrieb einstellten. Das führte dazu, dass die Menschen ihre Toten auf die Straße legten. Da auch in Guayaquil täglich eine hohe dreistellige Zahl an Personen eines natürlichen Todes – also nicht an Covid-19 – sterben, kamen da einige zusammen. Aber mal ehrlich, was ist das für eine Meldung? Wen wollen die Medien noch erschrecken? Keine Horrorstory scheint zu bizarr, als dass sie uns präsentiert werden muss.

Ich war nicht immer Reiseveranstalter. Von Haus aus bin ich Journalistin und habe in Mainz Publizistik studiert. Daran habe ich in den vergangenen Tagen sehr oft gedacht und ich rufe an dieser Stelle alle Kommunikationswissenschaftler dazu auf, die Berichterstattung der Medien während der Corona-Krise in einer Inhaltsanalyse zu untersuchen. Ich bin überzeugt, es ergibt sich das Bild einer beispiellosen Desinformation. So etwas ist noch nie dagewesen, aber alle machen mit.

Es bleiben so viele Fragen offen. Jeden Abend schaue ich die Tagesschau. Das reicht mir, um die veröffentlichte Meinung zu kennen. Immer geht es um drei Zahlen: Die Anzahl der Infizierten, der Toten und der Genesenen. Das ist alles. Danach folgen in Sondersendungen weitere panikmachende Berichte über das Gesundheitswesen vor dem Kollaps, den Pflegenotstand, die Überlastung einiger Berufsgruppen etc. Nichts davon tritt jedoch ein. Ich habe viele Ärzte unter meinen Kunden – auch Chefärzte und Klinikleiter in ganz Deutschland. Alle berichten sie mir in unseren Gesprächen über leere Abteilungen, abgesagte Operationen, wenige Corona-Patienten. Wer veröffentlicht endlich mal diese Zahlen? Ich finde, wenn ich schon die Zeche zahlen soll, will ich doch wenigstens wissen, wofür.

Verstehen Sie mich richtig: Ich bin auch ganz klar für den Schutz der Gesundheit und der durch Covid-19 gefährdeten Menschen. Mein Vater hat Lungenfibrose, schwarzen Hautkrebs und ein schwaches Herz. Wir haben uns an seinem 80. Geburtstag am 30. Januar das letzte Mal gesehen. Klar schützen wir ihn. Ich halte mich an alle Vorgaben und Regeln.

Die Soforthilfe ist da
Am 3. April beantrage ich Corona-Soforthilfe. Dann höre ich zehn Tage nichts. Am 14. April kommt eine Nachfrage: Ich solle darlegen, was ich an monatlichen Kosten habe. Rund 16.000 Euro werden dokumentiert, und das ist ohne Personalkosten und mit allen Kürzungen und Streichungen von laufenden Verpflichtungen, die möglich sind. Wird erfolgreich hochgeladen. Am 15. April, hat man mir 10.000 Euro für drei Monate zugesagt. Ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Der Austausch mit meinen Mitmenschen ist in diesen Wochen so wichtig wie nie zuvor. Wir helfen und sprechen uns gegenseitig Mut zu. Überall kommen die Einschläge näher. Der Friseur sagt Termine ab, die Management-Trainerin verliert alle Aufträge für dieses Jahr – einzig bei meiner Schwester läuft alles weiterhin gut: Sie ist Floristin und hat viele Beerdigungen. Gestorben wird immer, auch ohne Covid-19.

Unplanbarkeit als Tagesgeschäft 
Über Ostern habe ich mehrere E-Mails von Kunden erhalten, die vor der Corona-Krise mit uns in der Reiseplanung waren. Sie wünschen mir alles Gute und bekräftigen, dass wir die Planungen sofort wieder aufnehmen, wenn das Ende absehbar sei. Absehbar – wer weiß das schon?

Wir organisieren eine Skype-Konferenz mit unseren Partnern in Ecuador. Sie wollen wissen, wie es weitergeht. Während der Feiertage hat die Fluggesellschaft KLM – die Airline mit den besten Verbindungen in unser Zielland – alle Flugverbindungen bis Ende Juni auf „unable“ gesetzt. Das bedeutet ganz einfach: keine Flüge nach Ecuador für die nächsten zweieinhalb Monate. Ein Zeichen. Wir berichten den Kollegen in Ecuador über die Situation in Deutschland, die Gutscheinlösung, die Dauer, die Rückerstattung, die Verbraucherrechte, und bitten sie um Flexibilität, Ruhe, keine Preiserhöhungen, keine Rabattschlachten, Geduld. Es tut gut, die Kollegen zu hören. Sie spielen gut mit und verstehen unsere Lage, wie wir auch ihre. Wie überall versichert man sich, dass man es gemeinsam schaffen werde. Ojalá – hoffentlich.

Einige meiner Kunden haben mich in unseren Gesprächen gefragt, ob ich nicht Angst habe zu reisen. Dem ist nicht so. Das hatte ich nie. Überhaupt bin ich ziemlich furchtlos. Galapagos PRO ist das fünfte Unternehmen, das ich seit dem Jahr 2000 erfolgreich aufgebaut habe. Zwei habe ich zwischenzeitlich verkauft, alle laufen gut. Über 50 Mitarbeiter haben viel bei mir gelernt. Reich geworden bin ich damit nicht, aber ich lebe gut. Erst seit dieser Krise weiß ich, was Angst ist. Angst um das, was ich aufgebaut und geschaffen habe. Und nein, ich habe keine Angst vor Covid-19, sondern nur vor dem, was die Welt daraus macht.

Was wird aus meinem Reiseveranstalter? Ich habe gerechnet und bin zuversichtlich: Wir halten durch. Die Galapagos-Inseln sind ein ganz besonderes Reiseziel und für viele Menschen ein Lebenstraum. Das bestätigen meine Kunden immer wieder und das lässt hoffen.

Reisen, privat wie geschäftlich, sollten wieder möglich sein, sagen die Experten von der Leopoldina. Der RKI-Chef Lothar Wieler teilte der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ in einem Interview mit, dass er im August in den Urlaub fahren wolle. Na, dann.

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