Marokko

Marokko mit Maultieren

Farbspiel im Hohen Atlas: Die geologische Vielfalt ist überwältigend.

Farbspiel im Hohen Atlas: Die geologische Vielfalt ist überwältigend. Foto: ar

Im Hohen Atlas tauchen Wanderer ein in eine märchenhafte Welt

Youssouf schaut genau hin, was Christa auf dem Edelstahltablett zu den Mulis trägt. Prüfend gleitet sein Blick über die Melonenschalen. Er nickt. Die Tiere dürfen sich an den Essensresten gütlich tun. Viel bleibt ohnehin nicht übrig, zwölfhundert Meter Aufstieg durch Wacholder- und Pinienwald aufs Kousser-Plateau machen hungrig. Während die sechzehn Wanderer nur ihren Tagesrucksack zu tragen haben, schaffen die Mulis Zelte, Proviant, Küchenausrüstung und Trinkwasser hinauf auf 2.600 Meter. Kein Problem für die trittsicheren Tiere, die locker 150 Kilogramm tragen können. Ein gut trainiertes Maultier ist für seinen Treiber, oft Berber vom Stamm der Chleuh, ein Vermögen wert. Entsprechend sorgsam geht er mit ihm um. Drei Tage sind die Wanderer von Ilmilchil bereits unterwegs, gemeinsam mit der deutschen Reiseleiterin, dem Französisch sprechenden Wanderführer, dem Koch und den Mulitreibern. In weiteren 14 Tagen werden sie über 200 Kilometer durch den Hohen Atlas zurückgelegt haben. Auf dem Weg Richtung Marrakesch soll der 4.068 Meter hohe Mgoun bestiegen werden. Bereits der zweite Trekking-Tag durch die Melloul-Schlucht deutete an, dass dies keine Tour für Weicheier werden würde. 83-mal (Lies, die unermüdliche Holländerin, zählte mit) war der klar sprudelnde und im August angenehm temperierte Fluss zu durchqueren. Nach sieben Stunden in nassen Trekking-Sandalen entwickelt sich da die eine oder andere Blase am Fuß. So oder so, nach wenigen Tagen sind die Blessuren verheilt oder doch zumindest überlagert von den Problemen, mit denen so mancher Darm auf sich aufmerksam macht. Doch die Wanderer, viele Himalaya- und Anden-erprobt, lassen sich die Freude nicht nehmen und genießen die großartige Landschaft mit all den geologischen Sensationen, die der Hohe Atlas zu bieten hat. Während sich Tier- und Pflanzenwelt nicht besonders üppig präsentieren, ist die geologische Vielfalt überwältigend. In welch faszinierender Fülle an Formen und Farben sich Fels darstellen kann: Beim Wandern im Hohen Atlas lernt man das Staunen wieder. Die Begegnungen mit Nomaden in den Bergen oder Bewohnern der kleinen Dörfer an Flussufern, wo man schon mal zu einem traditionellen Pfefferminztee eingeladen wird, stimmen nachdenklich. In welch einfachen Zelten oder Bruchsteinhäusern werden die Kinder groß, mit wie wenig Komfort müssen sie zufrieden sein. Die einsame Landschaft erinnert in ihrer Klarheit und fast meditativen Kargheit ans indische Zanskar. „Nirgends kann ich besser abschalten als beim Trekking“, erklärt Unternehmensberater Klaus, wieso er lieber die schweißtreibende Tour durch den Hohen Atlas unternimmt, auf dem Boden sitzend seine Suppe aus dem Plastikteller löffelt und auf der Isomatte im Zelt schläft, als sich in einem Luxushotel an der Küste die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen. Und stolz ist er, dass er so problemlos einen Viertausender bestiegen hat.
Andrea Reck