Marokko

Marrakesch im Zeitraffer

Transportmittel für Touristen: Pferdekutschen vor dem Jardin Majorelle.

Transportmittel für Touristen: Pferdekutschen vor dem Jardin Majorelle.

Wer die marokkanische Königsstadt ohne Muße erkundet, wird Opfer einer Reizüberflutung  

Im Werkstatt-Viertel kann man fleißigen Leuten auf die Hände sehen.

Im Werkstatt-Viertel kann man fleißigen Leuten auf die Hände sehen. Fotos: pa

Vom Schlachterstand glotzen zwei Schafsköpfe. Im Reis picken Vögel. Ein Eselskarren, auf dem sich Säcke und ein alter Mann stapeln, holpert durch die Gassen. Von irgendwo ruft der Muezzin zum Gebet. Mofa-Fahrer hupen sich eine Schneise durch Menschen, Tiere, Handelswaren. „Madame, wollen Sie einen fliegenden Teppich kaufen“, wirbelt ein Langbärtiger aus seinem Laden. Wir hetzen durch die Souks von Marrakesch. Dort, wo das Herz der marokkanischen Königsstadt hämmert.

Morgens um sieben sind wir mit dem Bus in Agadir gestartet. Vier Stunden Fahrt durch karge Landschaft, dann kippt uns der Fahrer am Jardin Majorelle in Marrakesch aus. Unter schlanken Palmen knubbeln sich Kakteen, und knospen Wasserpflanzen in Bassins. Von dem Garten soll eine mystische Kraft ausgehen, bloß haben wir keine Zeit für Besinnung. Draußen scharren schon die Pferdekutschen, unser Transfer in die Altstadt. Wir traben durch blasse Straßenzüge, dichten Verkehr und dicke Luft. Romantik ist das Gegenteil.

Durchatmen im Restaurant Dar Moha in der Rue Dar El Bacha. Eine Oase der Ruhe mit Innenhof und Zier-Pool. Wir wissen, dass man in Marokko besser bei den Vorspeisen zugreift als bei den barbarischen Fleischbergen, die folgen. Das Dessert stimmt versöhnlich: Früchte im Schokomantel, Cremeküchlein und Marzipanrosen.

Der Reiseleiter treibt zum Aufbruch, nur noch drei Stunden bis zum Rückflug. Schnell einen Blick in die Islamschule La Medersa Ben Youssef schleudern, ein typisch maurisches Gebäude aus dem 16. Jahrhundert. Schlicht von außen, prachtvoll innen; nur keinen Neid erwecken. Unmöglich, die Baukunst auf die Schnelle zu erfassen: die Blendarkaden, die Hufeisenbögen, die in Gips geritzten Koransuren, das Becken für Waschungen in der Mitte. Die strenge Geometrie. Die ausladende Ornamentik.

Und weiter zieht die Karawane durch das Werkstatt-Viertel. Hier wird Kupfer getrieben, Leder geschnitten, Holz gedrechselt. Ein „Lumpensammler“ hat sich zu uns gesellt. Er passt wie ein Luchs auf, dass der Gruppe kein Kamel verloren geht. Die Altstadt von Marrakesch ist die zweitgrößte im Land. Eine zwölf Kilometer lange Mauer umspannt das geschäftige Treiben. Wir gelangen in die Souks, zu den Ständen mit Teppichen, Tieren und Tinnef. Das Leitkamel gibt uns eine Stunde für die Visite. Die Moscheen müssen wir auf der touristischen To-do-Liste nicht abhaken. Lediglich eine Moschee in Marokko steht Nichtmuslimen offen: die Hassan-II-Moschee in Casablanca.

Gedränge auf der Place Djemaa El Fna („Versammlung der Toten“) zwischen Koutoubia-Moschee und den Souks. Touristen wird der Ort als Gauklerplatz mit Kleinkunstspektakel angepriesen. Gaffen hat auf der Freiluftbühne Tradition. Einstmals wurden hier die Köpfe enthaupteter Verbrecher aufgespießt. Heute begehren Schlangenbeschwörer, Musiker und Märchenerzähler die Aufmerksamkeit und das Geld von Schaulustigen. Das ist Marrakesch, das Märchen aus Tausendundeiner Nacht, wenn einem die Zeit im Nacken sitzt.
Pilar Aschenbach
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