Ägypten

Moses am Abend

Ziel zahlloser Pilger und Touristen: Die Dreifaltigkeitskapelle auf dem Mosesberg (Berg Sinai).

Sinai: Wer zuerst ins Katharinenkloster geht und zum Sonnenuntergang auf den Berg steigt, hat mehr Ruhe als am Morgen

Alternative zur Morgentour: Auch der Untergang der Sonne ist vom Berg Sinai aus ein Erlebnis.

Weltkulturerbe Katharinenkloster: Der Abt ist traditionell auch Erzbischof des Sinai. Fotos: cb

Die einzigartige Mixtur aus Kultur, Religiösem, Natur und körperlicher Herausforderung machen den Mosesberg und das Katharinenkloster zu einer Hauptattraktion der Sinai-Halbinsel. Dies, obwohl es denkbar abgeschieden in einer Felswüste am Berg Sinai liegt und von nur 25 Mönchen bewohnt wird.

Zwar gehört auch eine Herberge zum Kloster. Wie die weiteren Unterkünfte beim Dorf Milga bleibt sie jedoch meist griechisch-orthodoxen Pilgern vorbehalten. Für sie ist das Katharinenkloster nicht nur Weltkulturerbe, sondern Wallfahrtsziel: Hier soll der Dornbusch gebrannt haben, als sich Gott dem Propheten Moses offenbarte.

Wo heute das Kloster steht, gab es bereits im 4. Jahrhundert Mönche und eine Marienkapelle. Insofern zählt das von einer massiven Granitmauer umschlossene Gebäudeensemble zu den ältesten der Christenheit, ist aber auch für Juden und Moslems ein besonderer Ort. Der Prophet Mohammed garantierte schon 623 den Mönchen das Klosterrecht. Spätere Kalifen und Sultane haben es stets respektiert. Militärisch ist die Anlage jedoch eine Fehlkonstruktion, weil sie von umliegenden Anhöhen leicht beschossen werden kann. Deshalb soll der oströmische Kaiser Justinian den Baumeister zum Tode verurteilt haben. Jahrhunderte später erhielt das Kloster einen Schutzbrief Napoleon Bonapartes.

Besucher können das Katharinenkloster ausschließlich vormittags besuchen, damit dessen religiöses Leben nicht zu sehr gestört wird. Schade, denn die Bibliothek mit 6.000 Handschriften wird nur von der des Vatikans übertroffen, und die Ikonensammlung ist riesig.

Für den Besuch des Berges Sinai haben diese Öffnungszeiten Folgen: Ganze Busladungen wälzen sich zum Sonnenaufgang den Mosesberg hinauf und anschließend durch das Kloster. Wer es ruhiger mag, sollte dort beginnen und danach den Sonnenuntergang vom 2.285-Meter-Gipfel genießen. Sobald die Berge nachmittags Schatten werfen, geht es los. Für Rucksäcke empfiehlt sich ein gemietetes Dromedar, denn der Aufstieg über 4.000 Stufen und 700 Meter Höhendifferenz ist anstrengend.

Führungen zum "Jebel Musa" sind staatlich lizenzierten Beduinen vorbehalten. Unser Achmed bewältigt den von Cafeterien und kleinen Geschäften voller Getränke und Schokoriegel gesäumten Weg locker in offenen Sandalen. Kurz vor einem schmalen Durchgang mit schroffen Granitwänden ist für das Lasttier Schluss: Hinter der Elija-Mulde, wo Moses von Gott die Zehn Gebote empfangen haben soll, folgen nämlich noch 750 Stufen zum Gipfel. Das ist nichts für Dromedare.

Oben angekommen, schweift der Blick über die Halbinsel Sinai und das Gebirge. Direkt neben der Dreifaltigkeitskapelle offerieren findige Händler Ostereier aus polierten Halbedelsteinen, ideal als Rucksack-Ballast für den Abstieg. Die Gipfelkapelle wurde 1934 über den Resten einer Basilka aus dem 6. Jahrhundert errichtet. Vom Miteinander der Religionen zeugt die Moschee gleich nebenan.

Plötzlich färben sich Himmel und Felsen rot und die Sonne versinkt sukzessive hinter der Bergkette im Westen. Unabhängig von der religiösen Bedeutung des Berges, ist der Anblick atemberaubend. Beim Abstieg läuft Achmed Zickzack, während Taschenlampen und die Augen der Dromedare in der Nacht leuchten.
Christian Boergen