Tunesien

Djerba im Graffiti-Rausch

Tunesien: Internationale Sprayer haben ein tunesisches Dorf verwandelt

Tunesiens Badeinsel Djerba hat eine neue Attraktion: Mit einem Straßenkunst-Projekt hat der Pariser Galerist Mehdi Ben Cheikh dem für Nordafrikas älteste Synagoge La Ghriba bekannten Dorf Erriadh ein neues Gesicht gegeben. Dazu hatte er 150 Künstler aus über 30 Ländern im Sommer 2014 in sein Heimatland eingeladen.

Dank „Djerbahood“ zieren nun bunte Farbtupfer die weißen Häuser mit den blauen Türen, und anfangs skeptische Dorfbewohner sind ebenso begeistert wie Urlauber, die Tunesien auf diese Art von einer ganz neuen Seite kennen lernen.

Erriadh setzt auf nachhaltige Entwicklung, so Isabelle Planchon vom Gästehaus Dar Bibine, das selbst ein Schmuckstück ist und modernsten Design-Ansprüchen genügt. Seit Jahrhunderten leben Moslems und Juden in dem Dorf friedlich zusammen. Letztere zogen vermutlich in drei Wellen zu: nach der Zerstörung von Salomos Tempel durch die Babylonier 586 vor sowie 70 nach Christus, als die Römer Jerusalem in Schutt und Asche legten. Und später noch einmal im 16. bis 17. Jahrhundert, als Inquisitions-Flüchtlinge aus Andalusien auf Djerba landeten.

Kunstprojekt „The Hood“
Doch das ist Vergangenheit. In Erriadh begann die Zukunft, als der Franzose Rodolphe Cintorino die Buchstaben „The Hood“ auf ein Dach am Ortseingang montierte. Damit hatte das Kunstprojekt seinen Namen, schwärmt Isabelle, während wir einen von Add Fuel aus Portugal gestalteten Torbogen passieren.

Farbige Hauswände zeugen von vielen Künstlern, die nach der Ben-Ali-Diktatur etwas für Tunesien tun wollten: Ein Einhorn stammt von der Südafrikanerin Faith 47, die Spanierin B-Toy beeindruckt mit Frauenporträts. Der aus Argentinien stammende Künstler Jaz hat unterdessen großformatige Krieger gemalt, die zum Erobern Afrikas ausreiten. Als Sinnbild völkerverbindender Mobilität rührte er seine Farbe mit Backsteinmehl und Mofabenzin an.

Allerdings nagt die salzhaltige Seeluft an der Straßenkunst. Die stellenweise abblätternden Farben und bereits übermalte Werke machen das Freilichtmuseum zwangsläufig zu einer lebendigen Wechselausstellung. Da schaut ein Kopf des Libanesen Yazan Halawani streng von einer Wand, der Spanier Malakkai hat eine Frau mit dampfender Teekanne gemalt, Inkman aus Tunesien und Nilko aus Frankreich eine bunte Autofahrt durch Erriadh gesprüht.

Unterstützung von Dorfbewohnern
Arbeiten konnten die Künstler aus aller Welt in der Sommerhitze meist nur am Abend, wobei sie von den Dorfbewohnern tatkräftig nicht nur mit Material, sondern auch mit Verpflegung unterstützt wurden. Laut Isabelle hat der Tunesier El Seed seine Heimatstadt Gabes und Katars Hauptstadt Doha verschönert, aber auch schon mit dem Luxuskonzern Louis Vuitton zusammengearbeitet.

In Erriadhs Café hocken Männer mit Kopfbedeckung vor moderner Kunst. Das Nasenschild des Geflügelladens gegenüber ist bunt gestaltet, auf den Betonboden des alten Marktes wurde ein langer, bunter Läufer gemalt. Insgesamt zählt das Dorf 250 Street-Art-Werke. Und mit Djerbahood ist noch lange nicht Schluss.

Einen Eindruck der Sprayer-Kunst gibt es im Internet unter www.djerbahood.com.
Christian Boergen