Malawi

Tanzende Fischer

Malawi: Zum Sonnenuntergang auf dem Malawisee

Als wir auf der Terrasse etwa vierzig Meter oberhalb des Malawisees sitzen, hören wir Trommeln, und zuweilen auch Stimmen, die der Wind aus einem nahe gelegenen Dorf zu uns herüber trägt. Was mag das sein?
Vielleicht eine Party oder eine Kulthandlung? Wir sind neugierig, doch zu müde, um uns in der Dunkelheit noch auf den Weg Richtung Dorf zu machen. Gerade erst sind wir in der Pumulani-Lodge angekommen. Die Luxus-Unterkunft liegt am Südufer des Malawisees und ist die einzige Lodge innerhalb des Nationalparks. 
Am späten Nachmittag sind wir mit Gift und Dinero, einem Guide und einem Bootsführer, mit einer Dhau auf den See hinausgefahren. Der See, der sich bis zum Horizont erstreckt, liegt flach wie ein Leinentuch vor uns. Gift und Dinero haben gar nicht erst versucht, das trapezförmige Segel zu setzen, mit dem ihre Dhau ausgerüstet ist. Heute haben sie nur eine Chance: den Motor anwerfen. Als sie diesen dann für eine Weile wieder abgestellt haben wird uns klar, warum der Malawisee ein Eldorado für Vogelbeobachter ist. Ganz in der Nähe des Ufers erspähen wir Schreiseeadler, Nektarvögel, Maskenpirole und Eisvögel. 
Egal, wo man sich am Malawisee aufhält, am spektakulärsten wirkt der See am frühen Abend. Dann taucht die untergehende Sonne das Wasser in ein gelblich-orangefarbenes Licht. Die Fischer, die aufrecht in kleinen, hölzernen Einbaum-Kanus sitzen, sind dann nur noch als dunkle Silhouette zu sehen. Viele der Fischer, die wir bei der Dhau-Fahrt in den Sonnenuntergang sehen, leben in den nahe gelegenen Dörfern Mbeya, Mtewa und Kasankha. 
Gift Kapaswiche, unser Dhau-Begleiter, ist der Enkel des „Chiefs“ im Dorf Mtewa und führt uns am nächsten Tag durch die drei Dörfer, die fast nahtlos ineinander übergehen. Ich bin neugierig, möchte wissen, was gestern im Ort gefeiert wurde und weshalb die Trommeln so lange tranceartig gedröhnt haben. Die Einheimischen klären uns auf: Zwei Maskentanzgruppen waren zusammen aufgetreten, um für das Blutspenden und für Empfängnisverhütung zu werben. 
Der geheimnisvolle Gule-Wamkulu-Tanz der Chewa, der große Tanz, der bei den Initiationsriten und bei Beerdigungen eine ganz wichtige Rolle spielt, wird auch heute wieder aufgeführt. Ein mit Stofffransen behangener Maskenträger tanzt auf einer trockenen, staubigen Fläche im Schatten eines großen Baumes.
Mal bewegt er sich wie ein scharrendes Huhn und hüllt uns alle in eine Staubwolke, dann wieder wirkt er wie eine rasende Furie. Wer sich hinter den roten, gelben und rosafarbenen Maskengesichtern verbirgt, das bleibt uns verborgen. Doch eines ist so gut wie sicher: Im Zivilberuf arbeiten die tanzenden Geister fast allesamt als Fischer auf dem Malawisee, über dessen Wasserfläche der Wind den Klang der Trommeln oft kilometerweit trägt.

Rainer Heubeck

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