Marokko

Marokko: Weltmusik am Atlantik

Schon tagsüber treten Musikgruppen auf. Fotos: bel

Das Gnaoua-Musikfestival lockt Ende Juni in die Unesco-Hafenstadt Essaouira

Atlantikwellen branden an die kilometerlange Strandsichel, über der Mond und Sterne prangen. Im Hintergrund erheben sich die Klippen der Insel von Mogador. Heute Nacht fluten zudem Musikwellen den Strand. Marokkaner und Touristen zappeln zu afrikanischen Trommeln und geben sich den Klängen der Gnaoua-Musik hin.  Das Gnaoua-Festival in der Hafenstadt Essaouira gilt als das größte Musik-Open-Air-Festival Afrikas. Es kombiniert traditionelle afrikanische Gesänge mit Jazz, Blues, Reggae und Rock. Rund 300 Musiker präsentieren über 30 Konzerte auf sechs Bühnen – auf der Festung, am Strand und in der Medina, der Altstadt, die zum Unesco-Weltkulturerbe gehört. Internationale Top-Musiker treten auf, afrikanische und marokkanische Bands.  Einst diente Essaouira als Hafen der Oasenstadt Timbuktu. Hierher brachten die Karawanen aus Schwarzafrika Waren und Sklaven für den europäischen Markt. Ein Teil der Sklaven blieb und brachte seine Bräuche mit. „Gnaoua ist eine Form der westafrikanischen Heilungs- und Geisterbeschwörung“, erklärt Literaturwissenschaftlerin Rachida Hadimi. „Ursprünglich war es ein magisches Ritual mit Tieropfern, Trance, Tanz und Gesang.“  Schon tagsüber geben Künstler aus aller Welt Kostproben ihres Könnens. Zwischen Lampenhändlern und Silberschmieden, in alten Karawansereien, auf der Wehrmauer und im Souk mit seinem Fisch-, Gewürz- und Kornmarkt. Andere treffen sich im grünen Innenhof des Hotels Riad Heure Bleue auf einen Nachmittagstee.  So wie Randy Weston, afro-amerikanischer Jazzpianist, der in den 60er Jahren tief in die spirituelle Welt des Gnaoua eintauchte. Er war Wegbereiter des Crossovers aus Gnaoua, Jazz und Rock, das viele Künstler anzog, darunter auch Jimi Hendrix, Peter Gabriel, die Rolling Stones, Frank Zappa, Bob Marley und Carlos Santana.  Besucher sind ebenfalls unterwegs. Insgesamt sollen es bis zu 400.000 sein. Sie handeln um Berberschmuck, Lederartikel und Webteppiche, bevor es abends richtig losgeht. Ein musikalischer Marathon. Auf die arabisch-andalusische Rockmusik folgen der amerikanische Jazz, senegalesischer Blues, karibische Rhythmen. Später fusionieren Flamenco- und Trancebeats.  Der Gnaoua-Meister erhebt seine raue Stimme und stimmt die Basslaute Gembri an. Seine Musiker fallen mit Trommeln und Kastagnetten ein, vollführen akrobatische Sprünge. Dann betreten spanische Musikerinnen die Bühne. Die klagende Stimme des Flamencos stimmt in arabische Strophen ein, Gitarren und stampfende Füße mischen sich mit Trommelklängen. Die Aufführung steigert sich zu einem Crescendo, das selbst die Zuschauer atemlos hinterlässt. Mitreißender, rauschhafter kann Völkerverständigung kaum klingen. 
Helgard Below