Wo Gastfreundschaft nicht nur ein leeres Wort ist
Ein Rosinenverkäufer im Souk von Sana’a. Fotos: akk
Im National Art Center inmitten des Souks der Altstadt von Sana’a begrüßt der 24-jährige Mohammed Al-Wazie freundlich die Besucher. Er studiert Französische Literatur und erzählt stolz, er stamme aus dem gleichen Dorf wie sein Chef. Dieser heißt Fuad Al-Futaih, hat in Köln Kunstgeschichte und in Düsseldorf Malerei und Grafik studiert und zählt heute zu den bekanntesten Künstlern des Jemen. Al-Futaih hat wesentlich zum Entstehen des außergewöhnlichen Kunstzentrums beigetragen. Es befindet sich in der ehemaligen mittelalterlichen Karawanserei Al-Mansur, die mit deutscher Unterstützung wunderschön restauriert wurde und auf mehreren Stockwerken Arbeiten zeitgenössischer Maler und Grafiker präsentiert.
Das Art Center zählt zu den Kleinoden, zu denen mich Ali, ein 14-jähriger Schüler, geführt hat. Kaum auf dem großen Platz hinter dem Bab al Jemen, dem Tor zur Altstadt von Sana’a angekommen, sprach Ali mich auf Englisch an und fragte, ob er mich begleiten dürfe. Auf die Frage, wie viel er dafür haben wolle, zuckte er nur mit den Schultern. An der Großen Moschee vorbei, die schon zu Lebzeiten des Propheten Mohammed errichtet wurde, führt Ali mich durch das Gassengewirr der Altstadt. Die meisten der rund 6.000 Häuser sind restauriert, ans Strom-, Wasser- und Kanalisationsnetz angeschlossen. Man kann sich kaum sattsehen an den kunstvoll gestalteten Fassaden, alten Türen und hölzernen Erkern.
Ein sonniger Freitagmorgen im November: Der Himmel ist blau, die Luft warm und trocken. Viele Männer im Sonntagsstaat mit dem traditionellen Krummdolch am Gürtel sind mit ihren Söhnen unterwegs. Frauen im Sharschaff, dem bodenlangen, schwarzen Gewand, Kopf und Gesicht bis auf die Augen verhüllt, stehen in kleinen Läden mit farbenprächtigen Stoffen. Ali steuert auf eine uralte Sesammühle zu, die sich in einem dunklen Gewölbe verbirgt und von einem Kamel betrieben wird, führt mich in eine Karawanserei, die noch heute Händlern als Unterkunft dient. Danach geht es zum Gewürzmarkt, zu Ständen mit Henna, Töpferwaren, Metallarbeiten, orientalischen Süßigkeiten, Rosinen und Nüssen und zum Kat-Markt, wo Männer mit dicker Wange die entspannende Wirkung der Blätter genießen.
Fotografieren? Kein Problem – solange es sich um Männer handelt. Lächelnd posieren Händler auf Wunsch vor der Kamera, bedanken sich auch ohne Einkauf fürs Fotografieren, und hat man die Frage nach dem Woher mit „Germany“ beantwortet, heißt es: „Welcome to Yemen!“
Es ist Mittag geworden. Ali hat mich wieder zum Altstadttor geführt, wo unser Fahrer Abdo bereits auf mich wartet. Aus den Moscheen ruft der Muezzin zum Gebet. Zeit zum Abschiednehmen. Beinahe verschämt nimmt Ali den Schein an, den ich ihm als Dank in die Hand gedrückt habe.
Anne-Kathrein Teubner