China

China: Buddha im Kohlenpott

Wie Schwalbennester hängen die Pavillons des Klosters Xuankong am heiligen Berg Hengshan.

Wie Schwalbennester hängen die Pavillons des Klosters Xuankong am heiligen Berg Hengshan. Foto: mam

Heilige Berge und Bergbau in Datong, dem Zentrum des chinesischen Buddhismus

Schon bei der Begrüßung nachts am Bahnhof zeigt Reiseleiterin Li eine gewisse selbstironische Distanz zu ihrer Heimatstadt. „Datong wird auch die schwarze Stadt genannt. Man sieht es jetzt nur nicht, es ist zu dunkel.“

Die Provinzstadt ist nicht nur Zentrum des chinesischen Buddhismus, sondern gehört auch zur größten Bergbauregion des Landes. Trotz der dicken Luft lohnt sich die sechsstündige Bahnreise von Peking hierher, und das nicht nur wegen der Felsenklöster, der heiligen Berge und gigantischen Buddha-Statuen. In der Zwei-Millionen-Stadt sieht der Reisende noch Szenen eines ländlich geprägten Chinas, die in der 300 Kilometer entfernten Hauptstadt schon längst der Vergangenheit angehören: Männer im blauen Mao-Outfit, Wahrsager auf ihren Schemeln und ganze Berge aus Melonen am Straßenrand, überladene Dreiradvehikel der Lumpensammler, Eselskarren und jede Menge Radfahrer.

Tourismus soll ein modernes zweites Standbein werden in Datong. Neue breite Straßen und Hotels sind im Bau, die Altstadt wird – typisch chinesisch – nagelneu nachgebaut. He Jun, stellvertretender Direktor des Tourismusamtes, ist mit dem Modernisierungsstand noch nicht zufrieden: „Wir hinken zehn Jahre hinterher!“ Dabei besitzt auch Datong neben seinen hübschen Klöstern zahllose neue Wohnblocks mit 20 Stockwerken und digitale Sekundenanzeigen an den Ampeln. Nachts verwandelt sich die Hauptstraße in einen blinkenden Times Square mit Riesen-TV-Bildschirmen über der Kreuzung, irre flackernden Schriftzeichen und Leuchtpfeilen, die pausenlos die Fassaden hoch und runter schießen.

Die Umgebung Datongs hat einen Hauch von Toskana: Die Hügel zur Rechten, wieder aufgeforstet mit Nadelbäumchen in Reih und Glied, wirken ein bisschen wie italienische Zypressenhaine mit ein paar sandfarbenen Ziegelhäuschen. Wenn man die Kohlezechen zur Linken nicht weiter beachtet mitsamt ihren Plattenbauten, Kino, Hospital und Förderanlagen.

Beliebtes Ausflugsziel ist das erstmals vor 1.500 Jahren gebaute Felsenkloster Xuankong am Hang des Hengshan, des heiligen Berges. Allein der Anblick dieser wie Schwalbennester hoch an der Felswand klebenden rot-hölzernen Pavillons mit den himmelwärts strebenden Tempeldächern entschädigt für die wenig pittoreske Anreise. Auf engen, schwindelerregenden Galerietreppchen schiebt man sich mit Hunderten die drei Etagen hinauf zum Allerheiligsten, wo sich Buddha, Konfuzius und Laotse ein Stelldichein geben. Vergessen jeder Schwefeldunst und alle Höhenangst!

Ebenfalls 1.500 Jahre alt sind Grotten von Yungang, von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt. In Ehrfurcht steht man vor den bis zu 17 Meter ?hohen Sandstein-Buddhas, insgesamt 51.000 sind in den Nischen und Höhlen an der senkrechten Felswand des Wuzhou-Berges gezählt worden, die kleinste eine fingernagelgroße Augenweide. Vor lauter friedlicher Meditation, tanzenden Apsaras und frohlockenden Bodhisattvas ahnen wir nichts Böses – bis Chefchemiker Yuan vom hiesigen Umweltforschungsprojekt erklärt: „Wir messen täglich 24 Stunden die Umweltwerte, die Besucher atmen viel Kohlendioxid aus.“ Eine weitere Kostprobe eines chinesisch geprägten Sarkasmus? Erst auf verdutzte Nachfrage erzählt er von der Umleitung einer Fernstraße mit Schwerlastverkehr vor zehn Jahren, um die Statuen vor Feinstaub, Flugasche und Abgasgiften zu retten.

Und was sagt Buddha dazu? Er lächelt weise, unterbricht nur kurz seine Meditation im Lotussitz, den Blick auf die gegenüberliegenden gelb rauchenden Schlote gerichtet, und atmet tief aus: „Alles ist vergänglich – eines Tages auch die Bergbauindustrie.“ Doch Kohle wird in China schon seit 2.200 Jahren abgebaut – länger als Buddha hier zu Lande weilt.
Martina Miethig
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