Singapur

Schlemmen für die Gesundheit

Vor dem Essen untersucht Doktor Foo den Gesundheitszustand der Gäste.

Die kulinarische Top-Destination Singapur kann mehr als Frühlingsrollen

Schrilles Design: Plüschsessel im Imperial Herbal. Fotos: fh

Zunge raus, Puls prüfen, ein strenger Blick ins Auge: Wer im Imperial Herbal ein Abendessen bestellt, braucht erst einmal keine Speisekarte. Seit mehr als zwanzig Jahren serviert das skurrile Restaurant im Vivocity Complex Gerichte nach den Regeln der traditionellen chinesischen Medizin (TCM). Damit die Gäste die richtige Auswahl passend zum Gesundheitszustand treffen, gibt es gratis eine Arztkonsultation dazu.

Jeden Abend sitzt Doktor Foo daher in einer heimeligen Ecke des Restaurants vor dem chinesischen Arzneischrank und sieht mit Kittel und Brille beruhigend vertrauenswürdig aus. Quasi die Mensch gewordene Devise: Schlemmen ist gut für die Gesundheit! Viele Worte verliert Doktor Foo nicht, denn eine traditionelle Diagnose besteht aus einem Blick auf die Iris, einer detaillierten Pulsanalyse, besagter Inspektion der Zunge - und einem kurzen, aber offenen Gespräch über den letzten Stuhlgang. Für ein romantisches erstes Date ist das Imperial Herbal daher weniger geeignet.

Geht es nach Doktor Foo, gibt es für fast alle Beschwerden ein geeignetes Menü: Schlaganfallpatienten bekommen geröstete Skorpione oder gebratene Ameisen serviert, schwache Lungen sind mit Krokodilsuppe gut beraten, Frauen mit schwacher Qi-Energie finden Ginseng-Fischsuppe oder das Imperial-Chicken auf dem Teller. Vorneweg gibt es jedoch den unbeschreiblichen Imperial-Menthol-Tee mit der Schlagkraft eines bösartig mutierten Hustenbonbons. Gar nicht so schlecht, wenn man auf Teufel komm raus auf neue Erfahrungen aus ist.

Jenseits des Tellers geht es weniger traditionell zu - vor allem weil das Imperial Herbal von einem, sagen wir mal wohlwollend, sehr unkonventionellen Geist eingerichtet wurde. Familien samt Oma und Opa, eine Handvoll Pärchen, eine Seniorenrunde: Sie räkeln sich allesamt auf rosa-, lila- und orangefarbenen Plüsch-Händen, die Finger steif gen Himmel gereckt. Vielleicht hatte der Innenarchitekt vor der Einrichtung unvorsichtigerweise zum Mentholtee und erst dann zum Plüschsessel gegriffen? Kein Wunder, dass Doktor Foo in seiner Traditionsecke ein bisschen wie eine Photoshop-Collage wirkt.

Doch auch das ist irgendwie typisch Singapur: Der totale Stilbruch scheint selbst bei den älteren Gästen keine Berührungsängste hervorzurufen. Wenn das Essen schmeckt, tritt alles andere in den Hintergrund.
Françoise Hauser