Myanmar

Himmlisches Glockenspiel

Über tausend kleine Pagoden bedecken die Tempelanlage von Indein.

Am Inle-See ist die Zeit fast stehengeblieben

Die "Menschen vom See" haben eine einzigartige Rudertechnik entwickelt. Fotos: smk

Langsam und bedächtig treiben zwei Ruderboote auf dem See, dessen Oberfläche im Schein der untergehenden Sonne glänzt, als wäre es Quecksilber. Zwei Männer sind erkennbar, es sind Fischer. Mit einem Bein stehen sie auf der Heckplattform ihrer Holzboote und halten mit dem anderen fest das Ruder umschlungen. Kraftvoll tauchen sie es ins Wasser ein und treiben mit schraubenförmigen Bewegungen ihrer Beine die Boote voran. Ihre Hände haben sie dabei frei, um die Netze einzuholen.

Die Rudertechnik ist weltweit einzigartig. Die Männer, die sie anwenden, sind Inthas, die "Menschen vom See". Ihre Heimat ist der Inle-See im Osten Myanmars, auf 900 Metern Höhe und umgeben von Bergen. Faszinierende Landschaft und Ökosystem zugleich. Etwa 100.000 Inthas leben hier - am, vom und rund um den See, mit 22 Kilometern Länge und 10 Kilometern Breite der zweitgrößte des Landes. Viele leben in Wasserdörfern, die zahlreich den See säumen und durch Kanäle mit ihm verbunden sind. Auf Pfählen errichtet, erheben sich rechts und links der schmalen Wasserstraßen ihre Häuser - aus Holz, bedeckt mit Bast, oder aus Blech, manchmal auch bemalt.

Einfach leben sie und traditionell. Fast so wie vor ein paar Jahrhunderten, als sie sich hier ansiedelten. Wann genau, ist strittig, woher sie kamen auch, doch wahrscheinlich aus dem Süden. Friedlich sind sie, freundlich und ein bisschen eigen. Viele lächeln oder grüßen, wenn ausländische Besucher nahen, andere fahren stoisch an ihnen vorbei und lassen sie gleichmütig an sich vorüberziehen wie Vögel. Trotz des aufkeimenden Tourismus und der Hotels, die hier entstanden sind, läuft auf dem See alles wie eh und je.

Wären da nicht die motorgetriebenen Langschwanzboote, die sich lärmend durchs Wasser fräsen, beladen mit Handelswaren, vereinzelten Touristen oder Seenomaden - es wäre ganz ruhig. Doch nach der Dämmerung, wenn sich die letzten Wasserbüffel träge ans Ufer begeben haben, sich der schwache Schein von Öllampen in den Häusern ausbreitet und aus ihren Herdfeuern Rauch aufsteigt, entfaltet der See einen faszinierenden Charme und erzeugt ein Gefühl der Zeitlosigkeit.

Tagsüber dominieren Handwerk, Fischerei und Landwirtschaft das Leben. Die Bauern arbeiten in schwimmenden Gärten, kleinen Beeten, die im Laufe von Jahrzehnten aus Wasserhyazinthen, Schlamm und Erde eine dicke Humusschicht gebildet haben und zu Feldern verbunden werden. Sie umgeben die Dörfer und bedecken das Wasser wie leuchtend grüne Teppiche - mit Bambusstangen im Boden des flachen Sees verankert und durchzogen von Fahrrinnen für Boote. Ein wertvolles Gut, das die Bauern weitervererben.

Doch auch Klöster und Pagoden gehören zum Leben der "Menschen vom See", insbesondere die Phaung-Daw-U-Pagode. Ihre fünf legendären Buddha-Figuren haben Kultstatus und sind durch das Blattgold zahlloser Pilger zu Klumpen deformiert.

Weitaus seltener besucht werden dagegen die über tausend halbverfalle Pagoden des Ortes Indein, erreichbar über einen landschaftlich reizvollen Zufluss. Die Tempelanlage erstreckt sich auf einem Hügel rund um ein zentrales Heiligtum und entfaltet im Zusammenspiel mit der tropischen Natur einen morbiden Charme.

Aufkommender Wind erfrischt und entfacht durch das Klingen zahlloser Glöckchen an den Spitzen der Pagoden ein himmlisches Glockenspiel. Ihr zarter Klang beruhigt und bezaubert. Und er hallt auch dann noch nach, wenn man schon längst wieder fortgegangen ist.
Sascha M. Kleis