China

Idylle auf der „Brötchen-Insel“

Kaum zu glauben, aber auch diese beschauliche Insel gehört zur Millionenmetropole Hongkong.

Hongkongs autofreie Insel Cheung Chau lockt mit Strand- und Dorfleben

Nicht die nächste Kaiserin von China, sondern ein „schwebendes Kind“ auf dem Bun Festival. Fotos: HKTB

Im Hafen plätschert träge das Wasser zwischen den Holzbooten, ein Rentner trudelt in Schrittgeschwindigkeit mit dem Fahrrad über die gepflasterten Wege, die Souvenirverkäuferin an der Anlegestelle fächelt sich gedankenverloren Luft zu. Auf der Uferpromenade Praya flicken sogar zwei Fischer ihre Netze - wie vom Tourist Board bestellt und doch garantiert echt. Die Insel Cheung Chau ist Hongkong mediterran, eine langsame Gegenwelt zu den Wolkenkratzerwelten Hong Kong Islands.

"Lange Insel" bedeutet der Name wortwörtlich, der aus der Feder eines wenig kartenkundigen Menschen stammen muss. Denn de facto erinnert Cheung Chau eher an einen Wurfstern. Klein ist die Insel auch, doch das ist kein Makel. Immerhin rund 20.000 Menschen wohnen hier - ein echtes Dorf, wie es auf dem Gebiet der Millionenmetropole selten geworden ist. Wichtiger noch: Die Insel ist nicht nur malerisch, sondern auch autofrei. Zwar nicht per Gesetz, wohl aber aus praktischen Gründen - sieht man einmal von einem einzigen Polizeiwagen ab. Wohin wollte man auch fahren auf einer Insel, die nur 2,4 Quadratkilometer misst und deren Gassen so eng sind, dass man kaum nebeneinander laufen kann?

Wenn die Hongkonger nach Cheung Chau fahren, dann um zu entspannen. Baden, Sandburgen bauen, vielleicht noch ein Spaziergang durch die felsigen Hügel der Insel und dann - der Höhepunkt - die Speisekarte der zahlreichen kleinen Restaurants erforschen. Ganz passend schließen die dorfnahen, bewachten Strände abends um 18 Uhr - was niemanden stört, denn zur Essenszeit warten die Touristen sowieso händereibend darauf, einen Sitzplatz in einem der kleinen Straßenrestaurants zu ergattern. Seafood muss es sein, frisch von den Fischerbooten.

Nur einmal im Jahr platzt die Insel aus allen Nähten: zum Bun Festival im vierten Monat des Mondkalenders (2011 war es am 10. Mai) zu Ehren des daoistischen Gottes Pak Tai. Dann droht die Insel unter den Menschenmassen im Meer zu versinken. Drei Tage lang dürfen Krabben und Langusten aufatmen, denn in dieser Zeit wird vegetarisch gegessen. Sogar der McDonald's serviert ausschließlich Veggie-Burger.

Kernstück der Feierlichkeiten sind die "schwebenden Kinder" der Prozession: Unter wildem Getröte und lauter Musik flattern sie auf fast unsichtbaren Eisenstäben als Schmetterlinge. Geister und Dämonen über die Insel. Schafft es der Besucher, noch eines der weißen "lucky bun"- Dampfbrötchen aus dem 15 Meter hohen Stapel vor dem Pak-Tai-Tempel zu ergattern, ist ihm das Glück gewiss. Das braucht er auch, denn zu Festivalzeiten ist es nicht gerade einfach, einen Platz auf der Fähre zurück nach Hongkong zu bekommen. Den Rest des Jahres gehört die Überfahrt schon zum Erholungsprogramm - vor allem, wenn sich der Reisende für die 55-Minuten-Variante entscheidet, schön langsam, wie es einem Inselausflug gebührt.
Françoise Hauser
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