China

Grandeur mit Nachtleben

Das Mausoleum von Sun Yatsen ist eine der Hauptsehenswürdigkeiten. Foto: fh

Die ehemalige Hauptstadt Nanjing wartet noch auf ihre westliche Entdeckung

Nanjing? Jeder in China kennt Nanjing - als "Backofen" ist die Stadt am Jangtse berühmt und verschrien. Vielleicht ist es aber auch einfach nur der Neid, der den Rest des Landes verzweifelt nach den negativen Seiten suchen lässt. Denn Nanjing ist wohlhabend. Schon zu Beginn der 1990er, als in Shanghai noch brav sozialistische Parolen geschwungen wurden, ritt Nanjing auf der Öffnungs- und Modernisierungswelle.

Auch historisch hat es Nanjing in sich: Kaum eine Stadt hat gleichzeitig so grandiose und so zerstörerische Zeiten im Wechsel erlebt. Zwölf Mal wurde sie zur Hauptstadt des chinesischen Kaiserreichs - daher auch der Name, der sich mit "südliche Hauptstadt" übersetzt. Kein Wunder, dass scheinbar an jeder Ecke Paläste, Museen und Parks liegen. Und doch wurde die Stadt gleich mehrfach dem Boden gleich gemacht: Während des Taiping-Aufstandes töteten die Regierungstruppen 1864 rund 100.000 Stadtbewohner, gut 70 Jahre später, 1937, massakrierten die japanischen Besatzer 300.000 Menschen.

In China selbst gehört Nanjing trotz dieser historischen Widrigkeiten zu den ganz großen Touristenzielen. Vielleicht liegt es auch ein wenig an Sun Yatsen, dem Gründer der ersten Republik, dem vor den Toren der Stadt auf dem Zijin-Berg ein pompöses Grabmal errichtet wurde. Keine andere chinesische Großstadt darf sich einer so gigantischen Parkanlage rühmen!

Ganz besonders stolz sind die Nanjinger freilich nicht nur auf Geschichte und Natur, sondern das Nachtleben. Schon zu Beginn der 1990er, als in Shanghai noch abendliche Öde herrschte, protzte Nanjing mit den ersten Diskotheken und Bars. Mit dem Nightlife-Bezirk "1912", dessen Name nicht ganz ohne Hintergedanken an die ersten wilden Jahre der Republik erinnert, hat die Stadt ihrer lockeren Lebensart ein echtes Denkmal gesetzt: Nach Einbruch der Dunkelheit verwandelt sich das Viertel nördlich des Zentrums in eine wahre Farbenorgie aus Leuchtreklamen, glitzerndem Konfetti und vergoldeten Eingangstüren mit Türstehern, die so cool sind, dass sie auf Ansprache gar nicht mehr reagieren. Trekking-Sandalen und praktische Wanderhosen lassen den Ausländer hier ziemlich peinlich aussehen.

Rund 50 Bars, Kneipen, Diskotheken eifern um die Besucher, von denen es wundersamerweise auch wochentags noch eine ganze Menge gibt. Ein wenig könnte dies auch am Backofen-Klischee liegen: Bier und Snacks im Freien kannte Nanjing schon, als der Rest des Landes noch nicht einmal von einer Pizza träumen konnte.
Francoise Hauser
Anzeige