Vietnam

Hello Mister, Bananas?

Mopeds statt Fahrräder: Das traditionelle Leben muss man im Boom-Land mittlerweile suchen. Fotos: jm

Ein Zweitbesuch 22 Jahre nach der touristischen Öffnung

Saigon empfängt mich mit Monsun ankündigenden, schwülen 36 Grad. Wie damals, 1990, als mich Mr. Minh mit einem klapprigen Dodge aus Kriegstagen gemäß Voucher am Flughafen abholte: "Visum, Flug, Transfer, Stadtrundfahrt" stand darauf. Schon nach den ersten Metern wies Mr. Minh auf die Errungenschaften des Sozialismus hin, auf Kindergärten oder Schulen. Bei der City-Tour steigerte er sich in rhetorische Höhenflüge, die einem Abgesandten des Propagandaministeriums angemessen gewesen wären.

Und vor 22 Jahren war allenfalls ein scheues "Hello" im Land von Onkel Ho zu hören. Heute schallt es einem an jeder Ecke entgegen, meist verbunden mit einem Angebot: "Hello Mister, Bananas?" "Hello", einen Fächer, ein Taxi, eine Massage, welcher Art auch immer?... "Hello!", der Besucher hört es überall. Und einen Kontroll-Reiseleiter wie Mr. Minh gibt es nicht mehr. Dafür dröhnt jetzt Vietnam-Pop aus dem CD-Player im Taxi.

Die Dong Khoi Street von Saigon ist kaum noch wiederzuerkennen ob all der Nobelboutiquen, als sei man in Bangkok oder Singapur. Nudelsuppenstände sind auf der Edelmeile verschwunden. Wer ein Süppchen will, muss jetzt in eine Filiale der klimatisierten Fast-Soup-Kette "Pho 24". Auch das Kleinstadtflair ist längst weg, die provinziell-ärmliche Verschlafenheit dem Brodeln einer Millionenmetropole gewichen, mit Neon, Lärm und Abgasen. Fuhren einst Armadas von Fahrrädern durch die Straßen, sind es jetzt Mopeds und Autos.

Doch nur ein wenig abseits, in den kleineren Seitenstraßen, lebt auch noch das alte Saigon, wie Ho-Chi-Minh-Stadt bis heute landläufig genannt wird. Eine alte Frau mit ihrem spitz zulaufenden Palmstrohhut und traditionell schwarz gefärbten Zähnen schaut kurz auf. Zwischen ein paar einfachen Ständen wuseln barfüßige Kinder und auch mal ein entlaufenes Huhn. Es riecht: nach Fisch, Obst und Alltag. Neben den Garküchen hocken Männer auf Minischemeln und spielen Karten. Ein professioneller Ohrenputzer betreibt sein Geschäft, und der Freilichtfriseur übt sich im Facon-schnitt.

1990 war das Jahr der Proklamierung des "Visit Vietnam Year", und das Land gehörte zu den ärmsten Nationen Asiens. Heute knurrt der Tigerstaat. Der Krieg ist für die meisten Vergangenheit. Die Wirtschaft brummt. Die Nation hat eine der größten Wachstumsraten weltweit. Und Europas Finanzkrise tangiert nicht.

Den Leuten geht es gut. Zumindest so lange sie politisch den Mund halten. Da machen es die Hanoier KP-Funktionäre wie die sonst so gehassten Pekinger Kollegen. Sogar die Leitwährung US-Dollar wird geduldet. Aber beinahe jeder nimmt inzwischen auch gerne zu gutem Kurs die kränkelnden Euro-Scheine.

Cyclo-Fahrer Khach etwa, der Touristen durch die Kaiserstadt von Hue radelt, will von der Landeswährung Dong gar nichts wissen. Für ein paar Dollar oder Euro gibt's nicht nur eine gemütliche Halbtagestour: Der drahtige Fahrer mit dem lichten Ho-Bärtchen bleibt dann auch schon mal an einem Geschäft stehen und offeriert dem Fahrgast ein Schnäpschen. In Ginseng eingelegte Schlange helfe schließlich prima bei Rückenleiden, meint er mit einem schelmischen Lächeln.
Jochen Müssig
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