China

Die Letzten der Shikumen

Die alten Shikumen-Häuser sieht man nur noch in wenigen Vierteln Shanghais.

Im historischen Stadtteil Hongkou zeigt sich Shanghai ohne Wolkenkratzer und mit viel Flair

Bronzestatuen erinnern an Schriftsteller und andere Berühmtheiten, die einst hier wohnten. Fotos: fh

Historisch scheint Shanghai keine wirklich spannende Destination: "Alles schon abgerissen", bedauern die einen. "Hat Shanghai überhaupt eine Geschichte?", fragen sich andere insgeheim. In der Tat führt der Weg in die Vergangenheit nicht zwingend in die touristisch erschlossenen Gegenden, sondern nach Hongkou.

Auf den meisten touristischen Stadtplänen ist das Viertel nordöstlich des Zentrums nicht einmal komplett abgebildet, obwohl seine Attraktionen nur wenige Taximinuten vom Bund entfernt liegen. Vielleicht liegt es daran, dass Hongkou noch nie eine "feine" Adresse war: Enge Gassen, kartenspielende Alte im Mao-Anzug, zwitschernde Drosseln in Bambuskäfigen, kleine Straßenimbisse und gemütlich-chaotische Hinterhöfe prägen hier noch immer das Straßenbild. Und die traditionellen Shikumen-Häuser: Wie Fischgräten zweigen die "chinesischen Reihenhäuser" von den engen Lilong-Gassen ab, die der Besucher durch einen steinernen Torbogen (so die Übersetzung des Begriffs Shikumen) mit chinesischem Holztor betritt.

Entstanden sind die Shikumen in den 1860er Jahren, als die Taiping-Rebellion rund eine halbe Millionen Chinesen aus den umliegenden Provinzen nach Shanghai trieb. Schnell wurde der Wohnraum knapp, so dass die Stadtregierung mit neuen Siedlungsformen experimentierte. Mit Erfolg: In den 1930ern bestand mehr als die Hälfte des städtischen Baulandes aus Shikumen.

Heute scheint ihre Zahl geradezu täglich zu sinken - lediglich in Hongkou und in einigen Ecken des Jingan-Distrikts stehen noch zusammenhängende Straßenzüge dieser für Shanghai so typischen Bauten.

Eine der schönsten Ecken Hongkous ist die "Cultural Street" Duolun Lu am nördlichen Ende der Sichuan Beilu, die an die linken Intellektuellen erinnern soll, die in den 1920ern und 1930ern vor der Verfolgung durch die diversen Machthaber ins internationale Hongkou flüchteten. Die 1998 renovierte Fußgängerzone im Norden von Hongkou mag nicht immer originalgetreu den Zustand der 1930er widerspiegeln, doch die bunte Mischung aus alten Villen, Wohnhäusern, garniert mit einer Reihe von Bronzestatuen besagter Denker macht die kleinen historischen Schnitzer allemal wett.

Dazwischen warten verstaubte Kramläden, deren Antiquitäten und Kommunisten-Paraphernalia jeden Touristen zum Portemonnaie greifen lassen. Auch hier lohnt es sich, in die kleinen Seitengassen abzubiegen. Allen Renovierungen zum Trotz wohnen in der Duolun Lu noch immer ganz "normale" Menschen, die dem touristischen Treiben amüsiert zuschauen, während der Ausländer wiederum einen neugierigen Blick in den Shanghaier Alltag wirft. Allzu lange warten sollte man mit dem Besuch allerdings nicht: Auch in Hongkou sind langfristig ganze Straßenzüge für die "Erneuerung" vorgesehen.
Francoise Hauser
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