Dubai

Die Welt ist nicht genug

Historie trifft High-Tech: Dhow auf dem Dubai Creek.

Eine Stadt in der Stadt, das größte Einkaufszentrum der Erde und noch mehr Amusement-Parks: Dubai schmiedet wieder hochfliegende Expansionspläne. Auch in Kultur und Nachhaltigkeit will das Übermorgenland investieren

Die Hochhausschluchten von Dubai sollen weiter wachsen.

Kunst in der Kunstwelt: das Salsali Private Museum in der Alserkal Avenue.

Die Jumeirah-Plameninsel mit dem Erlebnishotel Atlantis.

Das Aquarium im Atlantis. Fotos: pa, stock.xchng

Ayyam Gallery, Al Quoz. Blutrote Farbe strömt an einer weißen Wand herab. In einem Video verdichten sich Schatten zu Sprengkörpern und detonieren. Ein Bilderkanon zeigt die Landkarte von Syrien in variierenden Zerstörungszuständen - zerfleddert, zerschossen, verwundet. "Syria" heißt diese Ausstellung eines jungen Künstlers aus Damaskus, die den Dubai-Touristen eiskalt erwischt.

Bei der Reise in das Übermorgenland am Persischen Golf hatte man mit allem Möglichen gerechnet, mit Glitzerndem und Gigantischem, mit Grellem und Gellendem, aber nicht mit einem gespenstischen Kriegskommentar wie diesem. Nicht hier, auf dem größten Rummelplatz des Planeten. Nicht in der Wüstenwunderstadt, die sich mit immer wieder neuen Superlativen für die Spaßgesellschaft in die Schlagzeilen bringt. Nicht in Dubai, dieser schönen neuen Retortenwelt.

Doch im Schatten der höchsten Wolkenkratzer, kolossalsten Konsumtempel, güldensten Superluxushotels und thrilligsten Vergnügungsparks hat die arabische Metropole noch eine andere Facette entwickelt. In Al Quoz, einem staubigen Industriegebiet mit Zementfabriken, Arbeiter-Camps und nachlässig asphaltierten Straßen, entfaltet sich seit einigen Jahren eine aufstrebende Kunstszene.

"In Dubai findet ein spannender Wandel statt", sagt Vilma Jurkute, eine blonde PR-Frau aus Litauen, die uns die Alserkal Avenue zeigen will. Hier haben sich in ehemaligen Lagerhallen, die günstig zu mieten waren, zahlreiche Galeristen, Designer und Künstler niedergelassen. Die meisten Galerien widmen sich Werken von Künstlern aus dem Nahen Osten und Südasien. Auch das erste private Kunstmuseum der Region hat in der Straße eröffnet, das Salsali Private Museum mit hohen weißen Wänden für permanente und wechselnde Ausstellungen.

Bislang wissen jedoch die wenigsten Dubai-Touristen von dem dynamisch gewachsenen Kreativkollektiv. Das Emirat werde mit Künstlichem, nicht aber mit Kunst assoziiert, beklagen die Künstler von Al Quoz. Das könnte sich demnächst ändern: Bis zum Frühjahr 2014 soll das Areal um die Alserkal Avenue für 13,8 Millionen US-Dollar auf die doppelte Fläche vergrößert werden - mit neuen Ausstellungs- und Parkflächen, Eventcenter, Restaurants und Cafés.

Auch der Veranstaltungskalender von Dubai bietet längst mehr als Kamel- und Pferderennen, Shopping-Festivals und Sport-Events. Zu den Höhepunkten für Kunst- und Kulturinteressierte zählen die Messe "Art Dubai", die im März ihre siebte Auflage hat, und das "International Film Festival Dubai" im Dezember. Weitere Ereignisse könnten folgen, denn Dubais Herrscher Mohammed Bin Rashid Al Maktoum ist daran gelegen, dem Image des Emirats mehr Tiefgang zu geben. Hierfür soll in Downtown Dubai, unweit des Wolkenkratzerriesen Burj Khalifa, ein neuer "Kulturdistrikt" entstehen - mit einem Museum für Moderne Kunst, einem Opernhaus, Art-Hotels und Galerien.

Durch die Weltwirtschaftskrise sind in Dubai, dem Dreh- und Angelpunkt der globalisierten Welt, viele Bauvorhaben ins Stocken geraten. Das Vergnügungseldorado "Dubailand" und die künstlichen Inseln "The World" sind nur zwei davon. Und mit der Immobilienblase platzten neue Projekte wie die längste Hotelmeile der Welt, die Satellitenstadt Mohammed Bin Rashid Gardens, das Unterwasserhotel Hydropolis und "The Universe", aufgeschüttete Inseln in Form von Himmelskörpern.

Nun scheint die Krise jedoch ausgestanden zu sein, jedenfalls schmiedet der Scheich wieder hochfliegende Pläne. Schon im nächsten Jahr soll die erste Bauphase der "Mohammed Bin Rashid City" abgeschlossen sein, einer Stadt in der Stadt bei der Jumeirah-Palmeninsel mit mehr als 100 Hotels, einem Universal-Studios-Themenpark und dem weltweit größten Einkaufszentrum, der "Mall of the World". Ein zweites Mammutprojekt ist im Stadtgebiet Jebel Ali vorgesehen: der Dubai Adventure Studio Fun Park mit einem Marine-Park, einem Safaripark und einem Bollywood-Park mit einem Theater im Broadway-Stil.

Man kann die Maßlosigkeit vergöttern oder verachten - faszinierend sind die Dimensionen von Dubai allemal. Hier steht der höchste Wolkenkratzer der Welt. Hier verkehrt die längste fahrerlose Metro. Hier lockt eine Skihalle im Glutofen der Wüste. Hier ragt das Ultranobelhotel Burj Al Arab auf, in dessen 180 Meter hoher Lobby man die amerikanische Freiheitsstatue mitsamt ausgestrecktem Arm unterbringen könnte. Hier thront auf der künstlichen Palmeninsel Jumeirah das Hotelmonstrum Atlantis, dessen Aquarienfische täglich 350 Kilogramm Meeresfrüchte in Restaurantqualität verspeisen.

Noch im 19. Jahrhundert gab es dort, wo sich die Skyline Dubais wie die Kulisse eines Science-Fiction-Films in den dunstigen Wüstenhimmel streckt, nur eine Ansammlung kleiner Palmenblatthütten. Bis zur Entdeckung der Ölquellen 1966 lebte das Emirat vom Fischfang, Perlentauchen und Handel. Die Straßen waren unbefestigt, als Transportmittel dienten Esel und Kamele. Heute rollen über die bis zu 16-spurige Sheikh Zayed Road Kraftstoff fressende Offroader und glänzende Limousinen. Das Burj Al Arab verfügt über eine ganze Flotte von Rolls-Royces, um die Geldelite durch die Gegend zu kutschieren.

Wer früher über den Dubai Creek wollte, dem sich die Stadtteile Deira und Bur Dubai gegenüberliegen, musste mit kleinen Holzbooten, Abras, übersetzen. Mittlerweile führen vier Brücken über den 14 Kilometer langen Meeresarm. Die Wassertaxis sind noch immer im Einsatz - ebenso wie die Dhows, die traditionellen arabischen Handelsschiffe. Statt Gold und Gewürzen nehmen sie heute aber vor allem Touristen an Bord, um mit ihnen den Creek rauf und runter zu schippern.

Um den kleinen Wüstenstaat für Touristen attraktiv zu machen, setzt der Scheich auf Gigantismus als Alleinstellungsmerkmal: höher, schneller, weiter, luxuriöser. Binnen weniger Jahrzehnte ist das Angebot auf 588 Hotels mit 78.000 Betten gewachsen, die Auswahl reicht von Stadthotels über Strand-Resorts bis zu Wüsten-Camps. Der Tourismus trägt in Dubai bereits 18 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei, und das soll noch mehr werden, bevor die Ölquellen versiegen. Auch im stürmisch gewachsenen Kreuzfahrttourismus - innerhalb von zehn Jahren erhöhte sich die Zahl der Passagiere von 7.000 auf fast 400.000 - will das Emirat weiter expandieren. 2015, wenn ein weiteres Terminal eröffnet, sollen 475.000 Kreuzfahrtgäste empfangen werden.

Zu deren Ausflugsprogramm gehört auch ein Besuch des Burj Khalifa, der wie ein Spiegelsplitter aus Dubais Skyline sticht und mit 828 Metern als höchstes Gebäude auf dem Globus gilt. Die 360-Grad-Aussichtsplattform auf der 124. Etage bietet einen einmaligen Überblick über die Gigantomanie des Mini-Emirats, das mit 3.900 Quadratkilometern nur etwa viermal so groß wie Berlin ist.

Die mehrspurigen Highways sehen von hier oben wie Carrera-Rennbahnen aus, und die grausilbrigen Wolkenkratzer von Downtown Dubai wie das Nagelbrett eines Fakirs. Draußen im Ozean lassen sich die Konturen von The World ausmachen - blasse Sandflecken, die bis auf einen Strandclub auf der Insel Libanon noch nichts für Besucher zu bieten haben. In der Ferne schimmert die segelförmige Silhouette des Burj Al Arab. Irgendwo dahinter entsteht der neue Flughafen, der mit einer Kapazität von 160 Millionen Passagieren das größte Drehkreuz der Welt werden soll.

Neue Maßstäbe setzen - das möchte Dubai auch in Sachen Nachhaltigkeit. So zählen bei der Bewerbung für die Expo 2020 unter dem Motto "Connecting Minds, Creating the Future" auch "intelligente Energie- und Wasserquellen" zum Themenkatalog. "Vernetztes Denken ist die beste Basis für Fortschritt sowie ein erfolgreiches und friedliches Leben für die nächsten Generationen", sagt der Scheich. Im April soll zudem das "Dubai Green Festival" Premiere feiern. Das passt so gar nicht zur maßlosen Prasserei der arabischen Metropole. Aber es passt zu ihrer Begeisterung für Visionen und Innovationen. Es bleibt spannend im Übermorgenland.

Pilar Aschenbach

 

Kunst in der Kunstwelt

Alserkal Avenue: www.alserkalavenue.com 
Salsali Private Museum: www.salsalipm.com 
Art Dubai: www.artdubai.ae 

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