Kambodscha

Schräges Gewässer

Die Menschen in den schwimmenden Dörfern ziehen regelmäßig um

Geografisch wie biologisch ist der Tonle Sap ein Kuriosum

Typisch: Vollbepackte Mopeds auf den Straßen. Fotos: fh

Ein Foto mit Schlange? Oder mit Schildkröten? Vielleicht eine kurze Rückenmassage oder einfach so eine kleine Spende? Für die Kinder der schwimmenden Dörfer auf dem Tonle Sap rund 15 Kilometer südlich vom Siem-Reap-See sind Touristen Abwechslung und Verdienstmöglichkeit gleichermaßen. Auch wenn das Geschäft als Fotomodell hier in Kambodscha eher schleppend läuft.

Mit einem Achselzucken stecken die Kinder am Anlege‧r ihre Schlangen wieder in die Tasche, wo sie sich bis zur nächsten Schiffsladung Besucher zusammenringeln, und springen von Boot zu Boot. Viel Abwechslung gibt es hier nicht: Bis zum Horizont zieht sich das Wasser, zwischendrin Flächen aus Schilf und immer wieder schwimmende Holzhäuser.

Immerhin ist der Tonle Sap einer der größten Seen Asiens. Manchmal zumindest. Normalerweise entwässert er über den Tonle-Sap-Fluss zum Mekong. In der Zeit des Monsuns und der Schneeschmelze im Himalaya aber führt dieser so gigantische Wassermengen mit sich, dass sich die Fließrichtung für rund drei Monate umkehrt und die Fluten aus dem Mekong den See füllen.

Dann vervierfacht der Tonle Sap seine Fläche auf rund 11.000 Quadratkilometer. (Der Bodensee misst zarte 536 Quadratkilometer.) Zählt man die umliegenden Flussflächen dazu, sind es sogar 25.000 Quadratkilometer. Wenn im September der Wasserstand den Höhepunkt ‧erreicht, liegt fast ein Drittel der landwirtschaftlichen Flächen Kambodschas unter Wasser – kein Wunder, dass der Anflug auf Siem Reap dann ein wenig so wirkt, als wollte der Pilot notwassern.

Zum Ende der Regenzeit fließt das Wasser wieder nach Süden ab. Dies ist nicht nur weltweit einmalig (was dem See 1997 den Status als Unesco-‧Biosphärenreservat einbrachte), es zwingt die Anwohner auch, regelmäßig umzuziehen. Mit Sack und Pack, mit Schule, Booten als Schweinestall und schwimmendem Tempel heißt es in der Regenzeit, die Dörfer an eine flachere Stelle zu verlegen.

Praktisch ist das nicht – und dennoch sollen über anderthalb Million Menschen in den schwimmenden Gemeinden leben. Wie viele es wirklich sind, lässt sich kaum feststellen: Die meisten sind Staatenlose vietnamesischer Herkunft, die teils seit Jahrhunderten hier leben, teils mit den vietnamesischen Truppen 1979 nach der Befreiung von den Roten Khmer kamen.

Richtig kambodschanisch wird es ‧aber auf dem Rückweg nach Siem Reap. Gerade mal einspurig zieht sich die Straße durch die Ebene. Rechts und links Reisfelder, Fischteiche und immer wieder Kinder, die mit Gewichten beschwerte Fischernetze auswerfen, Motorräder mit drei, vier oder fünf Passagieren. Kleine Buden auf Stelzen am Wegesrand servieren Bier und frisch gebratene Happen, die Stimmung ist ausgelassen.

Dass die meisten Europäer dann doch nur zum Fotoshooting anhalten und nicht zum Abendessen bleiben, liegt am Angebot der kleinen Grillstationen: Für Wasserratte und Wasserschlange braucht es viel kulinarischen Wagemut. Rund sieben Millionen Schlangen landen übrigens jedes Jahr auf dem Teller oder in den Krokodilfarmen. Da erscheint das Schicksal ‧einer Foto-Schlange im schwimmenden Dorf gar nicht mehr so schlecht.
Françoise Hauser
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