China

Reisschnaps aus Wasserbüffelhorn

Die Miao-Frauen ‧tragen ihre Tracht nicht nur für Touristen. Fotos: mw

Zu Besuch bei den Miao in Südwestchina

Am Eingang von Xijiang, dem größten Miao-Dorf in China, singt eine Frauendelegation in ihren farbenfrohen und reich bestickten Trachten zur Begrüßung der Gäste ein Lied. Dann treten jeweils zwei Frauen singend an den Gast heran, umgarnen ihn, bis die eine sanft seinen Kopf in Richtung der anderen dreht und diese ihm aus einem Wasserbüffelhorn Reisschnaps einflößt.

Was für ein herzlicher Empfang. Diese Zeremonie ist keine Touristenfolklore, sondern geht auf eine uralte Tradition zurück, den Besucher willkommen zu heißen. Die Frauen kleiden sich nicht nur für Touristen oder zu Festen in ihren selbst gefertigten Trachten, sondern tragen diese oft im Alltag. Ihre Haare stecken sie zu einem seitlichen Dutt zusammen und schmücken ihn mit einer großen, roten Blüte. Auch ihren Silberschmuck legen viele jeden Tag an. Die Miao glauben, dass Silber böse Geister fernhält.

Xijiang liegt in der südwestchinesischen Provinz Guizhou, wo fast 35 Prozent der Einwohner 18 ethnischen Minderheiten angehören. Darunter sind die Miao und die Dong im Südosten sowie die Hui und die Yi im Westen.

Die Provinzregierung hat inzwischen zahlreiche Dörfer an das Straßen- und Stromnetz angeschlossen. So ist die Moderne eingezogen in die früher und teils nach wie vor rückständige, von Höhlen und Flüssen durchzogene, wild zerklüftete Berg- und Karstlandschaft.

Bei dem Dorf Huangguoshu stürzen die Fluten des Baishui-Flusses aus 100 Meter Höhe donnernd herunter. Der Wasserfall mit seinen zahlreichen Kaskaden ist nicht nur der größte in China, sondern in ganz Asien. Viele Dorfbewohner in Guizhou, wie die Miao, bewahren ihre traditionellen Sitten und Gebräuche. Das sei Ausdruck ethnischer Identität, die zu erhalten umso stärker als Bedürfnis empfunden werde, je stärker die Gefahr der Assimilation durch die Mehrheitsbevölkerung der Han-Chinesen drohe, sagt Chen Mang, Chef des Reiseveranstalters Caissa Touristik.

Xijiang zählt mehrere Hundert Haushalte. Das Zentrum des Dorfes bildet ein großer Marktplatz. Auf ihm steht eine Art Totem mit einer beidseitig zu schlagenden Trommel. Feste und Tänze sind nicht wegzudenken aus der Miao-Kultur. Besonders beliebt ist der Trommeltanz.

Die Miao leben in Holzhäusern, die wie am Marktplatz schachtelförmig an Hängen heraufklettern. Auch neue Häuser werden im traditionellen Stil errichtet. Die Menschen bauen Reis, Mais und Gemüse, darunter Süßkartoffeln, an und betreiben etwas Viehzucht. Auch wenn die Provinzregierung einige Miao-Dörfer übertrieben herausputzt, hinterlässt Xijiang einen authentischen Eindruck. So ist nirgendwo ein Souvenirgeschäft für Touristen zu sehen.

Zum Mittagessen empfangen die Frauen die Besucher wieder mit Gesang und Reisschnaps aus dem Wasserbüffelhorn. Sie stehen in zwei Reihen hinter den an einer langen Tafel speisenden Gästen. Immer wieder wird das Wasserbüffelhorn an die Lippen des Gastes geführt. Das hervorragende Essen zieht sich über Stunden. Gut, dass dem Restaurant eine Pension angeschlossen ist.Nach der Volkszählung im Jahr 2000 bilden in China zwar die Han mit 91,6 Prozent die Bevölkerungsmehrheit. Dennoch ist China ein Vielvölkerstaat. Der Zensus listet 55 „nationale Minderheiten“, die mit insgesamt 105 Millionen Menschen 8,4 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen.
Michael Winckler