China

Fengdu: Unterwegs in der chinesischen Geisterstadt

Hunderte roter Lampions säumen den Treppenweg in den chinesischen Himmel

Hunderte roter Lampions säumen den Treppenweg in den chinesischen Himmel. Foto: mw

„Fahren Sie doch zur Hölle“, sagt Li Zhi Kui. Er zeigt auf das kleine Elektrobähnchen, das fußmüde Reisende vom Schiffsanleger nahezu geräuschlos bis vor das mächtige Tor des Ming-Berges kutschiert. Ein Scherz müsse erlaubt sein, grinst Herr Li.

Vier Prüfungen muss bestehen, wer in Fengdu einen Blick in den Himmel und die Hölle werfen möchte. Dafür bietet die Sammlung von 27 Tempeln und Schreinen im laizistischen China die einmalige Gelegenheit zum Eintauchen in den immer noch verbreiteten Volksglauben. Vorstellungen des Daoismus, des Konfuzianismus und des Buddhismus haben sich hier am Mittellauf des Jangtsekiang, eine Tagesreise östlich der Mega-Stadt Chongqing, in mehr als 1.000 Jahren zu einer wilden Vorstellungswelt verwoben.

„Natürlich war den Rotgardisten während der Kultur-Revolution das Treiben hier oben ein Dorn im Auge“, sagt Herr Li. Vieles sei zerstört worden. Aber als die Aktivisten sich den wichtigsten Tempeln näherten, sei ein furchtbares Gewitter losgebrochen und habe sie verjagt.

Über den Blutfluss in die Anderswelt

Heute umgibt die Stätte, die zunehmend von Flusskreuzfahrern angefahren wird, wieder eine seltsame Aura. Kaum hat man das Tor mit den grimassierenden Tempelwächtern Hing und Ha passiert und ist auf einem Treppenweg mit Hunderten roten Lampions und roten vorbedruckten Wunschbändern der Alltagswelt entrückt, gilt es, die erste Entscheidung zu treffen.
Die Brücke der Hilflosigkeit Naihe Qiao führt über den Blutfluss in die Anderswelt. Wer die Brücke links in drei Schritten überquert, der soll gesund bleiben. Die rechte Seite verspricht Reichtum. Darunter warten die ersten Höllengeister auf Bösewichte und ungeschickte Opfer.

An einem Bergsporn rechts steht wenige Schritte weiter die Pagode des letzten Geleits. Hierhin kommen der Legende nach alle Toten am siebten Tag nach ihrem Ableben für einen letzten Blick auf die Welt. Dass der Pavillon erst 1985 erbaut wurde, stört niemanden. Die Traditionen sind schließlich viel älter. Der Überlieferung zufolge sollen die Höflinge Yin Changsheng und Wang Fangping vor rund 2.000 Jahren am Berg meditiert haben, bis sie unsterblich wurden. Ihre Namen heißen zusammen „Kaiser der Hölle“.

Drei Sekunden für die Seele

Die erste Etappe endet im Himmel, denn das Paradies sollte nach chinesischer Vorstellung möglichst leicht zu erreichen sein. 33 Stufen führen hinauf – man sollte sie in einem Atemzug nehmen. Herr Li legt einen Spurt hin. Oben wartet bestens gelaunt der Jadebuddha – vergoldet und kugelrund, damit sein kolossaler Bauch alles aufnehmen kann, was nicht zu ändern ist.

„Überlegen Sie, was Sie tun“, warnt Herr Li vor dem Höllentor. Wenn eine Frau mit dem linken Fuß über die Schwelle steige, werde sie im nächsten Leben als Mann geboren. Für Männer gelte das Gegenteil. Nur wer mutig genug ist, stellt sich der letzten Prüfung. Mindestens drei Sekunden muss auf einem Bein ausharren, wer die Reinheit seiner Seele beweisen will. Der Höllenkaiser hat dazu ‧einen kugelförmigen Stein aufstellen lassen, auf dem nur federleichte Existenzen sicher balancieren. Wer bei der Probe versagt, der muss bei seiner strengen Frau im Hinterzimmer um Gnade flehen.


Per Flussschiff nach Fengdu
Die Geisterstadt Fengdu wird auf den meisten Flusskreuzfahrten angesteuert. Gebeco hat eine 14-tägige China-Reise „Durch die Schluchten des Yangtze“ mit viertägiger Kreuzfahrt der President Cruises im Angebot. Studiosus bietet eine 20-tägige „China-Reise mit Yangzi-Kreuzfahrt“ ebenfalls mit President Cruises an. Dertour macht ebenfalls verschiedene Angebote. Im Programm „Klassisches China mit Yangzi-Kreuzfahrt“ sind die drei Tage auf dem Fluss in eine 12-tägige Privatreise mit Chauffeur integriert. Der Ausflug nach Fengdu ist häufig optional zubuchbar.

Martin Wein
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