Indien

Community Tourism: Die zwei Seiten Indiens

Gruppe Touristen macht Fotos vom Taj Mahal

Erst zum Taj Mahal, dann ins „Sheroes Hangout“: G Adventures verbindet in Agra sehr unterschiedliche Erlebnisse

G Adventures führt Reisende nicht nur zu den großen Highlights des Landes

Im „Sheroes Hangout“ treffen Touristen auf Frauen, die mit Säure überschüttet wurden

Im „Sheroes Hangout“ treffen Touristen auf Frauen, die mit Säure überschüttet wurden. Fotos: mg

Die Atmosphäre ist unvergleichlich. Die Handys sind startbereit, die Hitze ist selbst in diesen frühen Morgenstunden drückend – und kaum ­jemand spricht. In den Displays ist ein Motiv, dass zu den meistfotografierten ­Gebäuden der Welt zählt: das Taj Mahal im indischen Agra.

Wir gehören an diesem Tag zu den ersten Gästen. Geöffnet ist das berühmte Grabmal der Lieblingsfrau des Moghul-Kaisers Shah Jahan, gebaut zwischen 1631 und 1653, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Und an diesem Septembertag geht die Sonne kurz vor sechs auf. Erst versteckt im Dunst des Morgens, dann glutrot über den Kuppeln der Moschee des riesigen Grab-Komplexes.

Das Taj Mahal ist derart schön, dass es für Inder nahezu zur Pflicht gehört, einmal im Leben hierherzukommen. „Das ist für uns wie Mekka für die islamische Welt, nur ohne den religiösen Bezug“, sagt unser Reiseleiter. Denn die meisten Inder seien schließlich Hindus. Und das Taj Mahal entstand im Auftrag eines Moslems.

Rund sieben Millionen Gäste kommen ­jedes Jahr nach Agra, um dieses weltweit einzigartige Ensemble zu besuchen. Bis zu 80.000 sind es täglich in der Hochsaison zwischen Ende Oktober und Februar. ­Neben dem Taj bestaunen sie zumeist noch das Rote Fort von Agra. Dann geht es nach Delhi oder Jaipur. Alle drei Städte bilden das sogenannte Goldene Dreieck im Norden Indiens.

Gäste des kanadischen Gruppenreiseveranstalters G Adventures erleben in Agra noch ein weiteres Highlight. Ein gänzlich anderes: „Sheroes Hangout“ nennt sich ein Café, in dem seit 2014 Frauen ein soziales und zum Teil auch berufliches Zuhause finden, die zuvor ein schweres Schicksal traf: Sie wurden von Männern mit Säure überschüttet.

Die Gründe dafür sind unterschiedlich, die Folgen verheerend: Der Angriff ist zwar nicht tödlich, aber äußerst schmerzhaft. Und er entstellt Menschen für das gesamte Leben. Oft sind abgelehnte Heiratsanträge der Grund für den Anschlag, mitunter müssen die Frauen einfach nur dafür leiden, dass sie Frauen sind.

Im Sheroes Hangout finden sie Akzeptanz, einen Job und ein neues Selbstverständnis: Die Frauen sehen sich nicht als Anschlagsopfer, sondern als „survivor“, als Überlebende. Dass vor einigen Jahren G Adventures in das Projekt einstieg, sorgt nicht nur für Umsätze, sondern für zusätzliches Prestige: „Dass internationale Touristen zu uns kommen, bei uns Kaffee trinken, mit uns reden und gemeinsam mit uns Makramee-Arbeiten herstellen, sorgt oft für Bewunderung“, sagt Seema, die mit 18 Jahren ­attackiert wurde.

„Das Sheroes-Projekt hat mir wieder Mut zum Leben gegeben – und Mut, mich zu wehren“, ergänzt Dolly, die im Alter von zwölf Jahren von einem 25-jährigen Mann attackiert und verunstaltet wurde. Mithilfe der Sheores-Unterstützung ging sie vor Gericht, der Täter wurde verurteilt.

Genau das ist ein wichtiges Ziel des Projektes: Ein öffentliches Bewusstsein zu entwickeln, die Täter zu bestrafen und dafür zu sorgen, dass es schon bald keine Säure-Attacken mehr gibt. Es ist ein weiter Weg: Aktuell gibt es rund 200 Fälle im Jahr.

Matthias Gürtler

Info: G Adventures

Der Veranstalter ist Spezialist für englischsprachige Gruppenerlebnisreisen in aller Welt und Pionier im Gemeindetourismus, im Englischen als „Community Tourism“ bekannt. Alle Reisen basieren auf engen Beziehungen zu lokalen Gemeinschaften, die den Menschen vor Ort direkt zugutekommen. In Indien werden neun ­soziale Projekte unterstützt, fünf davon wurden in Rundreisen durch das Land ­integriert. Andere, wie der Besuch des Sheroes Hangout in Agra, können als optionaler Ausflug hinzugebucht werden.

Anzeige