In Sichuan kann der neue Umgang des Landes mit dem tibetischen Buddhismus erlebt werden
Der gut ausgebaute Radweg kommt völlig überraschend. Stundenlang sind wir zuvor mit einem Minibus durch die Schluchten West-Sichuans gefahren, von der Millionenstadt Chengdu aus in Richtung tibetisches Hochplateau. Im hinteren Teil des Busses stehen unsere Mountainbikes, geradelt sind wir allerdings noch nicht: Zu befahren sind die Hauptstraßen, zu steil die Anstiege in die Berge Sichuans.
Bei Siguniangshan tauchen dann die ersten schneebedeckten Berge auf – eine großartige Kulisse und ein Foto-Highlight für unzählige chinesische Touristen, die wie Models vor den berühmtesten Bergen Sichuans, den „Four Sister Mountains“ posieren. Mount Siguniang, die göttlichen Berge. 6.250 Meter ragt der höchste in den Himmel.
Kurz darauf öffnet sich nach einem Pass eine Hochebene – für uns die Chance, erstmals auf unserer China-Reise die Räder auszupacken. Die Überraschung folgt schon 15 Kilometer später: ein Radweg in EU-Format, quasi aus dem Nichts.
Mehr noch: Touristische Infotafeln weisen uns darauf hin, dass wir auf dem Weg zum Geburtsort des elften Dalai Lama sind. Wie? China wirbt dafür, dass Touristen den tibetischen Buddhismus erleben? Genauso sieht es aber aus: Der Geburtsort ist bestens in Schuss, Gästehäuser warten auf Touristen, in einem nahen Mega-Tempel winken und die Mönche zu. Und dann der Radweg: ein Genuss. Obwohl er hier eigentlich völlig unnötig ist.
Die erste Erfahrung der veränderten China-Politik zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Rad-/Busreise durch Sichuans Hochland – und wird auf dem Rückflug von einem buddhistischen Mönch aus Sri Lanka bestärkt: „China hat seine Politik geändert. Der tibetische Buddhismus ist nicht mehr das Feindbild, das es mal war.“
Für viele Menschen vor Ort (nicht für alle) ist das ein Glücksfall – und Touristen spüren das. In den Tempeln und Klöstern geht es lebhaft zu, die Bausubstanz in der Region um Tagong ist sehr gut, die Atmosphäre entspannt. So zeigen uns Nonnen, wie man auf tibetische Art betet. Im Gästehaus warten vorgewärmte Betten auf uns. Und der tibetische Gruß „Tsaschideli“ geht in Fleisch und Blut über.
Das Sprichwort passt in dieser Region der Welt besonders gut: Denn in den Bergen Sichuans ist Fleisch nach wie vor das Hauptnahrungsmittel. Yaks fühlen sich hier wohl – auf den Tisch kommen sie in Form von Burgern (für Touristen), als Steak, in Teigtaschen oder in Suppen.
Nur zwei Tage später ändert sich das: An der Welterbestätte Emeishan sind wir wieder im klassischen China und mittendrin in der Sichuan-Küche. Die ist von Chilis und Sichuan-Pfeffer geprägt, der eigentlich gar keiner ist: Die kleinen Kügelchen sind vielmehr mit Zitruspflanzen verwandt und geben dem Essen einen ganz eigenen Geschmack.
Serviert wird gerne im Hotpot, eine Art Fondue, in der Gemüse und Fleisch gegart wird. Die Würzung ist derart intensiv, dass man sich am nächsten Radeltag auf einen öden Müsliriegel freut. Oder auf eine Tee-Zeremonie, wie wir sie zum Abschluss der Reise in einem Tempel in Chengdu erleben. Denn begleitet wird das edle Getränk von gedämpftem, fast ungewürztem Gemüse.
Dazu zeichnen wir chinesische Schriftzeichen mit Texten zum Zen-Buddhismus aus – im Hintergrund läuft Tempelmusik. Einfach göttlich.
Matthias Gürtler
Info: Als Gruppe nach China
Individuelle Gruppenreisen nach China inklusive Sichuan bieten Veranstalter wie Gebeco, Ikarus Tours, Go East und Erlebe sowie die Incoming-Agentur Shanghai CITS an. Deren Deutschland-Vertreter Jürgen Kremer hat über zehn Jahre in China gelebt und verfügt in Chengdu über einen Agenturpartner, bei dem der Chef sowie zwei Mitarbeiter hervorragend Deutsch sprechen. Erreichbar ist Kremer per E-Mail an j.kremer(at)scits.com.