Taiwan

Wo die Götter und Geister wohnen

Potente Geister und Tempel en masse: In Tainan liegen die Historie und die Moderne
sehr eng beieinander

Potente Geister und Tempel en masse: In Tainan liegen die Historie und die Moderne
sehr eng beieinander

Wer die historischen Wurzeln und die traditionelle Kultur entdecken will, sollte nach Tainan in den Süden der Insel reisen – per Highspeed-Zug sind es gut zwei Stunden von Taipeh  

Gut beschäftigt: Wahrsager in Tainan

Gut beschäftigt: Wahrsager in Tainan

Gemütlich: Enge ­Gassen laden zum Schlendern ein

Gemütlich: Enge ­Gassen laden zum Schlendern ein

Freitag-Nachmittag am Großen Mazu-Tempel von Tainan. Vor dem Hauptgebäude wabert der Rauch der Räucherstäbchen durch die Luft, im Inneren beten gleich mehrere Gläubige vor der Statue der Hauptgottheit, der Meeresgöttin Mazu. Nur eine Seniorin im lila T-Shirt wandert etwas unentschlossen durch die Halle, streichelt hier und da den Kopf einer Tierstatue und bleibt schließlich vor einer kleinen Götter-Figur stehen. Mit einem schnellen Griff klemmt sie sich die Statue unter den Arm und verlässt den Tempel.

Was auf den ersten Blick wie ein dreister Diebstahl wirkt, ist im Süden Taiwans eine nicht ­unübliche Praxis: „Zuhause liegt wahrscheinlich der Mann oder ein anderes Familienmitglied krank im Bett und braucht göttlichen Beistand“, mutmaßt einer der Gläubigen, der mit einem breiten Grinsen die Überraschung der Ausländer bemerkt – warum also nicht gleich die Gottheit mitnehmen und die religiösen Pflichten zu Hause erledigen?

Das spare Zeit und mache die Krankenpflege einfacher. „Spätestens in zwei Wochen steht sie wieder da“, fügt er hinzu. Und Götter gibt es ja in diesem Tempel allemal genug, denn ihre Zahl geht im Daoismus in die Tausende. So seltsam diese Szene anmutet, sie ist typisch für Tainan. Müsste man so etwas wie das traditionelle Herz Taiwans auszumachen, es wäre genau diese Stadt im Süden der Insel.

Älteste Stadt der Insel

Vor rund 400 Jahren wurde Tainan gegründet und ist damit die älteste Stadt der Insel. Lange Zeit war sie sogar Hauptstadt, bis ihr Ende des 19. Jahrhunderts Taipeh den Rang ablief. Heute ist Tainan eine moderne Großstadt mit fast 1,9 Millionen Einwohnern, 14 Universitäten und einer Anbindung an das Highspeed-Zugnetz, das den Reisenden in nur etwas mehr als zwei Stunden aus Taipeh heran rauschen lässt.

Gründe nach Tainan zu fahren gibt es immer noch genug. Um die 500 um genau zu sein, denn so viele Tempel soll es dort geben. Und das sind nicht die einzigen traditionellen Relikte.

Wahrsager machen in Tainan noch immer gute Geschäfte, und auch der Kontakt ins Jenseits ist hier eine alltägliche Angelegenheit: Immer ­wieder sieht man beim Spaziergang durch die ­Innenstadt Menschen, die gold-bedrucktes ­Papier oder gar Geldscheine in mobilen Öfen verfeuern. Es ist sogenanntes Totengeld, das per Feuer ins Jenseits transferiert wird – quasi eine transzendentale Überweisung an die Ahnen, die sich, wenn vernachlässigt, in Geister und Dämonen verwandeln können.

Historische Spaziergänge

Fast scheint Tainan ein bisschen als Zwischenwelt zwischen dem Jetzt und dem Jenseits. Oder der Gegenwart und Vergangenheit. Letztere lässt sich besonders gut im historischen Hafenviertel Anping erleben, mit seinem Gewirr kleiner Gassen, mit Cafés, Restaurants, Tempeln, chinesischer Apotheken und Wohnhäusern. Wer danach noch eine Portion historischer ­Atmosphäre sucht, kann in der Five-Canal-Zone weitermachen, wo einst die Waren aus Anping ankamen und in die Stadt verteilt wurden.

An der Shennong Jie, einer kleinen Straße, deren chinesische Shophouses noch nicht zu Tode ­modernisiert wurden, warten Kramläden, Cafés und Kunsthandwerksläden. Fast-Food-Restaurants gibt es hier genauso wenig wie Shopping-Center: Lebensmittel kauft man auf dem überdachten Shuixian-Markt gleich um die Ecke. Dort kann man zwischen Fleisch und Gemüse gleich auch noch den Wasser-Göttern opfern – praktischer und unkomplizierter kann man ­Religion und Konsum nicht verbinden. 

In Rundreisen ist Tainan unter anderem bei TUI, Gebeco, Ikarus Tours, BCT-Touristik und Reisefieber inkludiert.

Francoise Hauser
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