Französisch-Polynesien

Südsee: Einer der letzten Naturgärten

Mit dem Frachter Aranui durch die Inselwelt der Marquesas

Riesige Basaltsäulen erinnern drohend und gewaltig an die Felsen des Nordkaps. Doch Europa ist weit weg: Vor uns liegt Ua Pou, die Zackige. Weiß schäumende Brecher wogen in die Bucht von Anahoa, von dort, wo sich die Silhouette der Pferdeinsel Ua Huka gegen den Horizont hebt. Zwei Bordkräne hieven Paletten mit Baumaterial, Auslegerkanus aus Polyester und ein Auto aus den Ladeluken. Seit Jahrzehnten versorgt die Frachtlinie von Tahiti aus die abgelegenen Tuamotu- und Marquesas-Inseln.

Am nächsten Morgen liegen wir fest vertäut an der Hafenmole Taiohaes vor Nuku Hiva, dem Sitz der katholischen Kirche und der französischen Verwaltung. „Die Bucht von Nukuhiwa“, schreibt Herman Melville in seinem Roman ‚Taipi‘ im Jahr 1842, „ist wie ein riesiges natürliches Amphitheater, mit wild rankenden Pflanzen überwachsen. Nichts kann die großartige Landschaft übertreffen.“ Melville lässt seinen Romanhelden von einem Walfischfänger desertieren und schildert dessen abenteuerliches Überleben bei den gefürchteten Kannibalen des Taipi-Volkes.

Als die Aranui die Taipivai-Bucht verlässt, steht die Silhouette Nuku Hivas blauschwarz gegen den Himmel. Hier und dort steigen Rauchsäulen aus dichtem Grün. Über Nacht läuft der Frachter in die Bucht von Atuona ein. Auch hier, auf Hiva Oa, ziehen sich Gebirgsketten bis auf über tausend Meter, sprudeln Bäche aus dem Inneren einer blühenden Oase, gewaltige Schluchten und abgeriegelte Buchten prägen eine Landschaft, die sich aus drei explodierten Vulkanen vor Jahrmillionen formte. Hierhin flüchtete sich der französische Maler Paul Gauguin, weil ihm Tahiti zu zivilisiert war. Hier wurde er 1903 begraben, was dem Friedhof von Atuona heute Besucher aus aller Welt beschert.

Nach Hiva Oa stehen die Küstenorte Vaitahu und Hapatoni in Tahuata, der kleinsten bewohnten Insel der Marquesas, auf der Lieferliste der Aranui. Wehmütig klingen polynesische Kirchgesänge aus der Sonntagsmesse zum ankernden Schiff, dessen Mannschaft ungerührt Frachtgüter aus den Ladeluken hievt.

Es wird noch viele Ladestopps und Landgänge geben. Auf Ua Huka, der Insel der Wildpferde, Reiter und Bildhauer. Und auf Fatu Hiva, wo Thor Heyerdahl, der durch seine Expeditionen Kon Tiki und Ra Weltruhm erlangte, 1936 sein Experiment „Zurück zur Natur“ unter Verzicht aller Zivilisationshilfen knapp überlebte.

Die Aranui dampft aus der Baie des Vierges, und es heißt Abschied nehmen von der märchenhaften Welt einer der letzten Naturgärten der Erde. Als sich die Sonne senkt, stehen die Insulaner am Strand, blicken stumm auf ihre Dschungelbühne: hochauf?ragende Felsskulpturen, Wasserfälle, mächtige Brotfrucht- und leuchtende Flamboyant-Bäume sowie fette Palmenwälder bilden die Kulisse.

Die zweiwöchige Südsee-Reise ist bei Dertour im Programm.
Roland F. Karl