Die Route der Katharer in Südfrankreich erinnert an bescheidene Menschen
Sie waren, so kann man die Geschichte interpretieren, zu gut für diese Welt. Bis auf den letzten Mann wurden die Katharer im 13. Jahrhundert ausgemerzt, weil sie mit ihrer bescheidenen Lebensweise der römisch-katholischen Kirche ein Gräuel waren. Das Volk im Südwesten Frankreichs soll tolerant, fortschrittlich und zugleich genügsam gewesen sein – ein Alptraum klerikaler Langeweile, Völlerei und Überheblichkeit. Nach einem jahrzehntelangen Kreuzzug war endlich Ruh: Die Christen hatten ihre Glaubensbrüder erfolgreich abgeschlachtet.Was von der mittelalterlichen Hochkultur übrig blieb, ist aller Ehren wert. Im Städtedreieck Carcassonne, Narbonne und Perpignan wurden 19 „außerordentliche Sehenswürdigkeiten“ gesichtet, die von der Association des Sites du Pays Cathare heute als Route der Katharer vermarktet werden (www.payscathare.org). Schlösser, Abteien, Museen und Burgen zählen zu den Attraktionen. Wer sich die volle Dosis geben will, kann einen Passport erwerben, mit dem sich der Eintritt an allen Stationen vergünstigt. Zeit kostet es dennoch: Die Straßen sind kurvig und schmal. Das sollte aber nicht davon abschrecken, auch abgelegene Orte wie das Château de Quéribus aufzusuchen. Das letzte Bollwerk des Katharerwiderstandes spitzt sich fast wie die Fortsetzung des Berges, auf dem es thront, nach oben. Mittlerweile kommt man mit dem Auto nah dran, lediglich die letzten Meter sind zu Fuß zurückzulegen. Auf dem steilen Pfad flirrt der Staub, die Sonne trümmert vom Himmel, einige Touristen schlingern benommen.
Es ist September und gut was los. Oben auf der Burg ist der Schweiß schnell getrocknet: Durch die vielen Schießscharten zieht es wie Hechtsuppe. Es gibt sie in allen möglichen Größen, auch für Feuerwaffen. Der Wind treibt einem Tränen in die Augen, aber nicht nur der. Das Land, das der Burg zu Füßen liegt, ist zum Heulen schön. Ein Puzzle aus dunkelgrünen Wäldern und bunten Feldern, dazwischen steigen elefantengraue Bergrücken aus dem Hitzenebel. „Magnifique“, raunt eine junge Französin einer anderen zu. Die Weite macht ergriffen, ob man will oder nicht.
Malern müssen bei solchen Ausblicken die Finger zucken, das ist klar. Paul Azema ist einer von ihnen, er lebt in Azillanet zwischen Narbonne und Carcassonne. La Maison du Peintre nennt sich sein Atelier, das gleichzeitig eine Herberge ist. Es bringt Geld, wenn es die Kunst nicht tut. Die Gäste können gucken und kaufen, kleine Weiler in Öl, aber auch Abstraktes in knalligen Farben. Auch das Maison du Parc in Saint-Chinian (www.maisonduparc.com) ist ein adretter Startpunkt für Fahrten auf der Katharer-Route. Einzelreisende, aber auch kleine Gruppen sind in dem Chambre d'Hôtes willkommen. Man schläft im altrosasamtigen Antikbett, das Frühstück wird im Garten zwischen Rosen und Kräuterbeeten verzehrt. Michel und Pascal tischen selbstgemachte Feigenmarmelade auf, abends gibt es butterzarte Pilz-Quiche, die sich – ebenso wie der Wein aus Lokalproduktion – auf ewig ins Geschmacksgedächtnis eingraviert. Die lauschigen Ecken im Maison du Parc sind mit Liegen bestückt. Leider bleibt keine Zeit, die Füße hochzulegen und sich in ein Buch oder die Gedanken zu versenken: Ringsumher gibt es zu viel zu sehen.
Minerve zum Beispiel, eine mittelalterliche autofreie Ministadt. Und Roquebrun, von wo man mit dem Kanu den Orb runterstrudeln kann. Weil es wie gemalt über dem Fluss liegt, gilt Roquebrun als eines der schönsten Dörfer Frankreichs. Pflicht an der Katharer-Route ist die Abbaye de Fontfroide bei Narbonne, eine der größten Zisterzienserabteien Europas und aktive Bastion während des alles vernichtenden Albigenser-Kreuzzugs. Der Kreuzgang ist der Hammer! Eigentlich zu perfekt mutet das bekannteste Relikt der Katharerzeit an: die Festungsstadt Carcassonne, die im 19. Jahrhundert vom Klischeebediener Eugene Viollet-le-Duc restauriert wurde. Kritiker schimpfen den Architekten einen „Restaurierungs-Vandalen“. Jetzt sieht es in Carcassonne fast so aus wie in Disneyland.