Norwegen

Stavanger: Früher Fisch, heute Öl

Kein Touristenrummel: In der Altstadt mit ihren weißgetünchten Holzhäusern geht es ruhig zu.

Die südnorwegische Stadt hat drei Gesichter – mindestens

Großer Auftritt: Häufig laufen Kreuzfahrtschiffe in den Vagen, den historischen Hafen, ein. Fotos: pra

Der durchdringende Fischgeruch, der Rauch und die Gluthitze aus den großen Räucheröfen, das laute Hämmern der Maschinen, das hundertfache Klappern der Konserven. All das ist nicht mehr da. Doch wer in das Norwegische Konservenmuseum kommt und Piers T. Crocker lauscht, der riecht, hört und fühlt, wie es damals gewesen sein muss, vor 90 Jahren, als das norwegische Stavanger zur Sprottenmetropole aufstieg. Der Museumsleiter, ein eingewanderter Brite, erzählt so lebhaft und anschaulich, dass man das hektische Treiben in der Fabrik gut nachvollziehen kann, und auch die Mühsal und Monotonie der Arbeit. 8.000 Menschen, die Hälfte der Arbeitsbevölkerung Stavangers, plagte sich in den 1920er Jahren in solchen Fabriken und produzierte geräucherte Fische. „Kaum eine Region der Welt blieb unberührt von norwegischen Sprotten“, sagt Crocker.

Als wir aus dem alten Gebäude ins Sonnenlicht treten, atmen wir erst einmal durch. Hier draußen sieht die Vergangenheit doch viel freundlicher aus. „Gamle Stavanger“, die Altstadt, besteht aus 173 weiß getünchten Holzhäusern aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Hell, dörflich und ungeheuer friedlich wirkt es hier. Üppiger Blumenschmuck ziert Fenster und Fassaden, vor denen hier und da eine Bank steht. Eine Katze streift um die Ecke, zwei Frauen mit Einkaufstaschen halten ein Schwätzchen. Die Övre Strandgate mit ihrem alten Kopfsteinpflaster und die angrenzenden Straßen gehören den Bewohnern – keine Spur von Touristenrummel. Souvenir-Shops, Cafés, Restaurants und selbst Hotels sucht man hier vergebens. Nur einige Schaufenster mit Kunsthandwerk und das Schild eines Fußtherapeuten lassen auf kommerzielle Interessen schließen.

Lebendiger geht es auf der anderen Seite des „Vagen“, des alten Naturhafens von Stavanger zu – und bunter. Die Holzhäuser sind hier nicht nur weiß getüncht, sondern auch mal rot, orange oder grün, manches sogar in Mint oder Lila. Kleine Geschäfte, Boutiquen und Cafés säumen die Straßen, auch Burger King ist vertreten. Überragt wird dieser Teil der Stadt vom Valberg-Turm, einem trutzigen Nachtwächter-Turm aus dem 19. Jahrhundert, der auf einem Hügel erbaut wurde. Von hier aus geht der Blick über die Stadt und die vorgelagerten Inselchen bis zur Fjordküste.Unter dem Valberg-Turm zeigt sich Stavanger als junge, unternehmungslustige Stadt. In den langen Sommernächten sitzen die Leute bis spät vor den Kneipen und genießen ihr Bier für acht Euro. Vor allem auf dem Skagen-Kai direkt am Hafen geht es abends hoch her, in den alten Speicherhäusern ist ein Lokal neben dem anderen untergebracht. Hier schaut man auf die vorbeiflanierenden Menschen und die Boote im Wasser, und wenn sich gerade ein großes Kreuzfahrtschiff in den historischen Hafen geschoben hat, reckt man die Hälse zum dem schwimmenden Giganten, der alle Häuser am Hafen bei Weitem überragt.

Stavangers modernen, großen Hafen findet man, wenn man die Altstadt in der anderen Richtung durchquert. Hier am Östre Havn (Osthafen) öffnet sich die Stadt zum Meer, hier ziehen zwischen Fähren und Frachtern die Segel- und Motorboote der Einheimischen vorbei. Auf der gegenüberliegenden Insel Sölyst stehen direkt am Wasser adrette Eigenheime im traditionellen Stil der Holzhäuser. Gerahmt wird der Hafen allerdings von spektakulärer moderner Architektur: der grazilen, langgezogenen Stadtbrücke (Bybrua) mit ihren ausladenden Schrägseilen zum Meer hin und dem futuristischen Norwegischen Ölmuseum zur Stadt hin.

Das Öl ist für Stavanger heute das, was früher die Sprotte war: Existenzgrundlage. Seit 1966 das Ekofisk-Feld vor der norwegischen Küste entdeckt wurde, ist die Stadt zum Zentrum der Förderindustrie geworden – und aller finanziellen Sorgen ledig. Doch ein Besuch im grandiosen Ölmuseum zeigt: Müheloser Wohlstand ist das nicht. Die Männer auf den Bohrinseln leisten Schwerstarbeit. Tauschen möchte man mit ihnen ebenso wenig wie mit den Arbeitern in der Konservenfabrik.
Klaus Pranger
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